Mondtaenzerin
noch?«
Er legte den Kopf an meine Schulter.
»Ich weiß.«
Unsere früheren Regungen und Gefühle hatten weder er noch ich als anrüchig empfunden. Meldete sich aus unserer »guten Erziehung« so etwas wie Widerstand, dann blieb er unterlegen angesichts unserer halb nackten Körper, die wir in einer Art hellsichtiger Unschuld erkundeten. Damals taten wir nicht das, was die Erwachsenen dachten, das wir getan hätten – nein, dazu fehlte es uns einfach an … nun, sagen wir mal, an der Technik. Dabei waren die Jungen noch verklemmter als Vivi und ich. Man hatte ihnen im Religionsunterricht ja
gesagt, dass sie krank davon werden konnten, mit Pickeln und Furunkeln und Schulversagen. Solche Dinge bekamen wir Mädchen noch nicht zu hören. Erst später, als wir unsere Blutung bekamen, wurde der Körper Gegenstand unseres Misstrauens. Es war ein Schock für uns, eine Veränderung, die bei Vivi und mir fast gleichzeitig eintrat und die wir als sehr unangenehm empfanden. Ich weiß noch, wie niedergeschlagen, gereizt und verwirrt ich damals war. Es war eine scheußliche und schmerzhafte Überraschung, mit Bauchweh und Kopfschmerzen verbunden. Die Erklärungen, die Mutter mir damals gab, schockierten mich, entsprachen sie doch einer Aufklärung, die sehr unterkühlt war. Sie redete von diesen Dingen wie vom Wetter. Vivi reagierte ihrem Umfeld entsprechend, stellte mir Fragen, die ebenso unanständig wie neugierig waren, wo ich mich doch am liebsten mit meinem Geheimnis irgendwohin verkrochen hätte. Immerhin konnte sie mit dem Problem besser umgehen als ich. Außerdem bekam sie sofort Tampons, während ich mich zunächst mit Binden behelfen musste. Vivi lachte mich aus. Sie flüsterte mir unter viel Gekicher ein paar Geheimnisse zu, die mit den Worten endeten: »Kein Mädchen benutzt heutzutage noch Binden. Nur wenn sie eine dumme Gans ist und den ganzen Quatsch mitmacht!«
Ich wollte keine dumme Gans sein und griff zur Selbsthilfe. Als ich mal wieder meine Periode hatte, legte ich mich aufs Bett, bohrte mir so tief den Finger in die Scheide, bis es wehtat, stieß und drehte den Finger hin und her, bis ich merkte, dass da unten ein Loch war, das sich vergrößern ließ. Dann ging ich mit rotem Kopf zu Mutter und verlangte einen Tampon.
Sie sah mich an, gereizt, misstrauisch und tadelnd. Immerhin kaufte sie mir Tampons – die dünnsten. Ich führte sie ein, es ging problemlos, und danach fühlte ich mich wohler, obwohl Mutter perplex dreinschaute.
»Hat es dir denn nicht wehgetan?«
Ich erwiderte trotzig ihren Blick.
»Nicht die Spur!«
»Hast du dabei geblutet?«
»Weiß ich nicht. Ich hatte ja meine Tage.«
Sie wirkte nachdenklich, doch sie sagte nichts, und fortan benutzte ich Tampons.
Bald bekam ich auch das, was ich einen »dicken Hintern« nannte, und meine Brüste spannten unter der Bluse. Und Vater hielt mir dauernd vor, was sich für mich nicht mehr gehörte. Dass ich mich am Strand mit Peter und Giovanni traf, missfiel ihm. Auch Vivi stand bei ihm in keinem guten Ruf.
»Sei doch ein wenig zurückhaltend. Was sollen denn die Leute sagen?«, murmelte er, und ich wunderte mich, woher denn plötzlich all die Leute kamen, die etwas über mich zu sagen haben sollten.
Das Ergebnis war, dass ich Verbotenes heimlich tat. Peter auch, obwohl aus anderen Gründen. Und so ging das zwei, drei Jahre lang, bis alles brutal zerstört wurde.
Eine Weile saßen Peter und ich still da. Die Erinnerungen nahmen uns gefangen. Die Bäume auf Rügen waren dicht und dunkelgrün, in ihren Kronen rauschte der Nordwind, der im Herbst selbst im Süden noch spürbar war.
»Was wohl aus ihm geworden ist?«, fragte ich leise.
Ich sprach von Giovanni, natürlich. Ich erinnerte mich an seine Augen an jenem Morgen, als ich ihn zum letzten Mal sah, diesen finsteren und scharfen Blick mit dem ganzen Schmerz darin, nicht verwirrt, nein, sondern wissend und leicht verächtlich. Er trug sein Leid wie einen Speer, der in seinen Körper eingedrungen war. Hilfe erwartete er keine mehr. Prinz Eisenherz nach verlorener Schlacht.
Peter antwortete nachdenklich.
»Weißt du, Alessa, Giovanni sah schon mit dreizehn aus wie ein Mensch ohne Zukunft. Er hatte eine Karriere vor sich – Priester; er hätte diesen Weg Schritt um Schritt gehen müssen.
Dann hätte er es – mit tausend Kompromissen – wohl zu etwas gebracht, aber die Augen wurden ihm zu früh geöffnet. Er liebte die Gerechtigkeit zu sehr, er wollte sie mit anderen teilen, wie all das
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