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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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mich überfordert und sah auch bereits im Geist die Panik in Giovannis Augen.
    »Giovanni wird nicht kommen wollen!«, sagte ich.
    »Nach Giovannis Meinung fragt keiner«, versetzte mein Vater.
    »Er ist aber noch im Krankenhaus!«
    »Soviel ich weiß, wird er am Freitag entlassen. Man wird es dem Onkel rechtzeitig mitteilen. Fra Beato will euch ja erst am Montag sehen.«
    Ich schluckte und fragte: »Ich möchte es Giovanni selbst sagen; darf ich ihn morgen besuchen?«
    Die Eltern tauschten einen Blick, und Vater sagte: »Dagegen ist eigentlich nichts einzuwenden.«
    Das St. James Hospital befand sich im Stadtteil Sliema, an der »Triq Borg Olivier«. Es war ziemlich weit, und ich fuhr mit dem Bus. Einige staubige Palmen, vom Wind zerwühlt, knisterten über meinem Kopf, als ich die Straße überquerte. Im Krankenhaus war es angenehm kühl, unpersönlich und modern. Der klotzige Bau, ein ehemaliger Palast, war kürzlich renoviert worden. Ich meldete mich bei der Schwester am Empfang, die mir freundlich den Weg zeigte.

    Eine Treppe führte ein paar Stufen hinauf, dann einen Gang entlang, an dem viele Zimmer lagen. Hellblau gekleidete Schwestern kamen und gingen. Verschüchtert betrat ich die Männerabteilung. Alte und junge Männer in Schlafrock und Pantoffeln, manche mit Gips oder dicken Verbänden, saßen auf Bänken oder schleppten sich mühevoll durch den Gang. Einige trugen einen Infusionsständer, die Nadel steckte in ihrem Arm, und sie sahen blass und verhärmt aus. Gerade als ich das richtige Zimmer entdeckte und klopfen wollte, ging die Tür auf. Ein junger Priester in einer gut geschnittenen Soutane trat hinaus. Er war schlank, hochgewachsen, mit glattem schwarzem Haar, das er sehr kurz trug. Er hatte ein schmales Gesicht, eine leicht gebogene Nase und geschwungene Lippen und sah eigentlich recht gut aus, obwohl das bei einem Priester keine Rolle spielte. Die schwarzen, länglichen Augen schimmerten etwas verschleiert, weil die dunkle Pupille rundherum die Hornhaut sehen ließ. Ich dachte, dass dies wohl Giovannis Onkel sein musste, und grüßte verlegen. Er lächelte freundlich. Rechts fehlten ihm etliche Zähne.
    »Bist du Giovannis kleine Freundin, die ihn gerettet hat?«
    »Ja, ich bin Alessa.«
    »Du hast dich wunderbar verhalten. Hattest du denn keine Angst?«
    »Es musste ja schnell gehen«, erwiderte ich.
    Er nickte ernst, wobei er mich unverwandt ansah. Er hatte ein lässiges, ungezwungenes Auftreten und gleichzeitig eine Steifheit, die befremdend wirkte. War er möglicherweise krank? Sein Gesicht war fast feminin hell und glatt. Man konnte sich nicht vorstellen, dass er einmal unrasiert sein konnte. Ein Bart hätte ihm einen verwegenen Ausdruck gegeben. Mit einem Bart hätte er wie ein Filmschauspieler ausgesehen. Ich konnte mir ihn gut als Piraten vorstellen.
    »Ja, das hat auch der Arzt bestätigt«, sagte er. »Du hast Giovanni
vor Schlimmem bewahrt. Ich werde für dich beten, Kind.«
    Ich deutete dankend einen Knicks an, wobei ich – da wir schon beim Film waren – die Rolle des artigen kleinen Mädchens spielte. Er betrachtete mich aus seinen schwarzen Augen, die ein bisschen schläfrig und versonnen dreinschauten und gleichzeitig sehr rasch umherblickten und alles wahrnahmen.
    »Es war ein gefährlicher Ort, wo ihr gespielt habt«, fuhr er fort, und in seiner Stimme lag ein tadelnder Unterton. »Kinder, warum seid ihr so leichtsinnig? Ist es euch nie in den Sinn gekommen, dass etwas passieren könnte?«
    »Jetzt kommt keiner mehr rein«, sagte ich. »Das Gelände ist gesperrt. Mein Vater hat das veranlasst.«
    Trotz seines freundlichen Lächelns zeigte er ein linkisches und spürbar mürrisches Verhalten und war auf eine nervöse Weise verschlossen. »Ihr habt großes Glück gehabt«, meinte er. »Gott hielt seine schützende Hand über euch. Man sollte diese Grabkammern der Erde zurückgeben. Nur die Katakomben, die den ersten Christen Zuflucht boten, sollten für die Besucher offen bleiben.«
    Er bekreuzigte sich flüchtig, seine Hand war lang und fein wie die einer Frau. Aus reiner Gewohnheit setzte ich zur gleichen Geste an und unterdrückte sie gerade noch rechtzeitig. Mutter hätte das nicht gefallen, und wir waren hier auch nicht in der Kirche.
    »Giovanni, geht es ihm gut?«, fragte ich.
    Er lächelte auf einmal warmherzig, was sein Gesicht sehr anziehend machte. »Er fängt an, sich zu langweilen, ein gutes Zeichen! Weil er noch Pflege braucht, wird er jetzt eine Zeit lang bei mir

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