Mondtaenzerin
auch Singvögel in Fangnetzen, steckten sie in Käfige und verkauften sie auf dem Markt. Sie verlangten von Giovanni, dass er half, die Netze zu legen. Er weigerte sich oder rannte davon; die Brüder drohten mit Prügeln. Die Großmutter fuhr dazwischen, prophezeite dem sittenlosen und böswilligen Pack die unheilvollsten Dinge. Giovanni liebte die Großmutter, obwohl sie eine streitsüchtige Frau war, weil sie ihn immer in Schutz nahm. Er liebte auch seine Mutter, diese sanfte Kreatur mit den braunen Augen eines leidenden Hundes, die in ihrem freudlosen Leben nichts als gedarbt hatte. Santuzza roch nach Schweiß, schmutzigen Kleidern und scharfen Zigaretten, weil Emilio, bevor er einschlief, im Bett zu rauchen pflegte. Jetzt meinte sie, dass ihr Jüngster bald ein richtiger junger Herr sein würde und im Haushalt keinen Finger mehr rühren sollte. Giovanni hörte lächelnd zu, was sie sagte, und half ihr trotzdem, wie gewohnt, in der Küche und draußen bei den Tieren. Ungefähr in dieser Zeit erkrankte die Großmutter. Die gebieterische alte Frau wollte keine Schwäche zeigen und verheimlichte ihre Krankheit. Giovanni nahm aber wahr, dass sie übel roch und immer dünner wurde. Marietta schickte ihn zur Apotheke, damit er ihr Rizinusöl holte, mit dem sie ihre Bauchschmerzen kurieren
wollte. Und das war alles. Einen Arzt? Nie im Leben! Marietta wies das Ansinnen empört ab. Diese Quacksalber wollten sich ja nur an ihr bereichern. Sie war geizig wie ihr Sohn und blieb störrisch, auch als sich ihre Leiden verschlimmerten. Sie versteckte sich, wenn sie sich übergeben musste, wobei braunes Wasser aus ihrem Mund floss. Sie starb, von der überforderten Schwiegertochter und den Enkelinnen notdürftig gepflegt, vollständig durchseucht, nicht mehr bei Verstand und nur noch Haut und Knochen.
Giovanni war traurig nach Großmutters Tod. Aber sie war eine alte Frau; ihr Tod war zu erwarten gewesen. Er wohnte ja auch schon bei Don Antonino. Und in jenem Frühjahr wurde er Klassenbester, während sich Peter zunehmend verschlossen und mürrisch zeigte. Er kam aus einer Familie, nach außen sehr harmonisch, nach innen so hierarchisch und stur, dass ihm kaum Luft zum Atmen blieb. Ihm war nie beigebracht worden, eine eigene Meinung zu haben. Dem Vater passte es nicht in den Kram, und die Mutter folgte dieser Richtlinie bedingungslos. Peter widerstrebte es zutiefst, zu sagen, was er dachte, und handelte vor lauter Angst so wenig wie möglich. Er lebte in permanenter Furcht, verspottet und verletzt zu werden. Giovanni und ich verletzten ihn auf unausgesprochene Art und wussten nichts davon. In dieser Zeit suchte er oft Vivis Nähe. Sie steckten die Köpfe zusammen und tuschelten, als ob sie ein Geheimnis teilten. Ein Geheimnis gab es in der Tat: Peter war gleichermaßen in mich und in Giovanni verliebt, und Vivi war die Einzige, die klar ins menschliche Herz sah und das alles verstand. Vivis Kindheit war ja eine ganz andere gewesen. Sie hatte ihre Mutter mit anderen Männern im Bett liegen sehen, ihren Vater mit anderen Frauen, ohne dabei in Verwirrung zu geraten. Die Freizügigkeit war bezeichnend für das Umfeld, in dem sie aufwuchs. Man erlag seinen Trieben und Instinkten, probierte alles aus, was früher verboten war, im Bannkreis eines sinnlosen Lebens, und immer in der törichten
Hoffnung auf Metamorphose. Die Wandlung indessen machte Vivi durch, Miranda musste weiterleben mit diesen Zonen des Dunklen in ihrem Kopf und dem Todesgeschmack ihrer Lüge. Und Vivi, der nichts, aber auch gar nichts, verboten war, erlebte eine Freiheit, die in Wirklichkeit keine war, weil niemand für sie die Verantwortung übernahm. Vivi war ein junger Vogel in einem zerstörten Netz, sie sah, was die Eltern taten. Es gefiel ihr nicht, und sie entwickelte dagegen einen stillen, ungeheuer heftigen Widerstand. In einem verschmutzten Haus kann man den Dreck nicht nur vor sich hin kehren, sondern muss ihn erst mal bei sich selbst finden, sich reinigen und dann eine Geschichte erzählen oder eine Musik machen, die voller Poesie ist und Wärme erzeugt. Bei Vivi war das wörtlich zu nehmen: Unter dem Bett ihrer Eltern lagen Bierdosen, gebrauchte Präservative und blutige Spritzen. Vivi schmiss das ganze Zeug weg, machte sauber; sie dachte sich nicht viel dabei. Die Gedanken kamen später, als sie dieses Haus immer weniger als ihr eigenes erkannte. Von Anbeginn waren ihre Fantasien recht lebhaft, ihre Traumwelt überdeutlich. Auf diese Weise schuf sie
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