Moni träumt vom großen Glück
zum festen Punkt zu machen. Wenn man ihm nur das Gefühl nehmen könnte, daß er immer ein Außenseiter ist.“
„Wieso Außenseiter, Mutti? Hat er so was gesagt?“
„Nein, das Wort hat er nicht gebraucht, jedenfalls nicht mir gegenüber, aber so viel kann ich doch verstehen, daß er sich immer als Außenseiter gefühlt hat. Du kannst dir vielleicht nicht vorstellen, und ich selbst kann es auch kaum, was das bedeutet, nie einen Menschen , Vater’ oder ,Mutter’ genannt zu haben oder ,Onkel’ oder ,Tante’ oder ,Großvater’ und .Großmutter’. Er hat sich mit allen erwachsenen Menschen, die er getroffen hat, gesiezt. Er hat die Menschen höflich begrüßt mit Händedruck, vielleicht mit einem Handkuß. Er hat nie spontan einem Menschen um den Hals fallen können. Er hat höchstwahrscheinlich noch nicht mal einen Menschen gehabt, mit dem er sich richtig aussprechen konnte, einen Menschen, zu dem er mit all seinen Sorgen und Freuden kommen konnte. Ich glaube nicht, daß ich mich in diesem Punkte irre, Moni. Und wenn wir ihm etwas von all diesem schenken könnten, dann wäre es zu schön!“
Ich schwieg ein Weilchen. Dann errötete ich wieder; denn jetzt wollte ich Mutti etwas sagen, und das war nicht leicht, aber ich holte noch einmal tief Luft und versuchte es.
„Du, Mutti.“
„Ja.“
„Findest du es ganz schrecklich komisch, wenn ich sage, ich glaube beinahe, daß ich Marc ein kleines bißchen lieb habe?“
„Aber Kind, das weiß ich doch längst. Deswegen brauchst du nicht zu erröten. So ein bißchen verliebt zu sein, das ist ein natürlicher Zustand, wenn man siebzehn ist.“ Sie lächelte, als sie das sagte.
„Ja, Mutti. Das ist es wohl.“
Wir schwiegen beide eine Weile. Dann guckte Mutti mich an und sagte: „Aber Moni, nun darfst du nicht enttäuscht sein, wenn Marc kein Wort sagt. Er hat ja einem jungen Mädchen nichts zu bieten, verstehst du? Er kann dich nicht einladen. Er kann nicht mit dir ausgehen. Er kann dich nicht einmal in ein Kino mitnehmen. Du darfst nicht vergessen, wie eisern er sparen muß. Und das, wofür er spart, ist viel, viel wichtiger als dein Sparprojekt. Seine ganze Zukunft hängt davon ab, daß er seine Ausbildung vollenden kann.“
„Das weiß ich doch, Mutti, und ich pfeife auf alle Einladungen. Ich möchte nur so schrecklich gern, daß er ab und zu herkommt, und daß ich ihn mal wieder besuchen darf, und daß ich seinen Opa besuchen darf. – Und, nun ja, es wäre natürlich schön, wenn wir manchmal einen Sonntagsausflug zusammen machen könnten. Aber das geht nun nicht. Er will ja jede freie Minute mit dem Großvater zusammen sein, und das kann ich verstehen.“
„Das verstehe ich auch, Moni. Seinen Großvater wird er ja wahrscheinlich nur noch eine kurze Zeit behalten. Du bist siebzehn Jahre, und Marc ist dreiundzwanzig. Ihr habt das ganze Leben vor euch.“
Als ich an diesem Abend in meinem Bett lag, wollte der Schlaf nicht kommen. Ich hatte so furchtbar viel zu denken. Vor allen Dingen hatte es mich tief beeindruckt, daß Marc wußte, wie es um den Großvater stand. Er wußte, daß der Opa ein todkranker Mann war, und wollte es ihm nicht sagen. Und der Opa wußte es auch, und er wollte es Marc nicht sagen. Eins war mir klar: ich durfte nie dem einen gegenüber verraten, daß der andere es auch wußte.
Mein letzter Gedanke, bevor ich endlich einschlief, war eine große Dankbarkeit, weil das Schicksal es gefügt hatte, daß ich Marcus Becker kennengelernt hatte.
Es geschah am Heiligen Abend
Als am Dreiundzwanzigsten ein Paket von meiner Tante Luise kam, packte ich es sofort aus. Tante Luise schickte mir doch immer irgendein Buch, und mit dem diesjährigen Buch hatte ich einen Plan. Ich riß das Papier auf, guckte hinein – zum Glück hatte sie keine Widmung hineingeschrieben. Also wickelte ich das Buch schnell in neues hübsches Papier, schrieb darauf: „Für Inge von Moni“ und lief damit zu Inge. Inge ist die einzige Freundin, mit der ich immer Weihnachtsgeschenke austausche. Sonst begnügen wir uns mit einem Händedruck und guten Weihnachtswünschen.
„Erfinderisch bist du geworden, das muß man sagen“, sagte Mutti mit einem kleinen Kopfschütteln. „Denk bloß daran, was ich gesagt habe, Moni: Sparen ist schön, aber laß es nicht in Geiz ausarten!“
„Ist denn dies geizig, Mutti?“ fragte ich.
„Dicht an der Grenze“, sagte Mutti und lachte. „Jetzt erwarte ich nur noch, daß du Inges Geschenk wieder einpackst und es mir
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