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Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition)

Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition)

Titel: Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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unablässig daran denken, dass der Abend immer näher rückte.
    Und der Abend kam. Elvira mit Papa; der Fette mit mir; zwei Männer nacheinander mit nur einer von uns; gefesselt und geschlagen werden; Fotos, Videofilm; Elvira und ich; die Väter mit ihren Töchtern; Elviras Weinen, mein stummes Grauen und hilfloses Erdulden – alles bis zum Erbrechen bekannt. Was war so faszinierend an diesem immer gleichen Ritual, diesem immer gleich entsetzlichen Vernichtungsspiel?
    Als plötzlich die Tür aufsprang und das Gesicht zu uns hereinstarrte, von dem ich am allerwenigsten so erblickt werden wollte, schlug ich schreiend die Hände vor mich. »Geh weg!«
    Dann hörte ich es nur noch klatschen, schreien, wimmern und immer wieder klatschen. Ich grub den Kopf in das Kissen, presste die Zipfel auf die Ohren, um nichts zu hören. Doch das Geräusch der Schläge hörte nicht auf. Nichts anderes spürte ich mehr als Georgs Not und meine Schuld. Das grunzende Schwein auf mir nahm ich nicht mehr wahr.
    Ich weiß nicht, wer Georg von der Tür wegtrug, vor der unser Vater ihn mit einem Gummiknüppel zusammengeschlagen hatte.
    Als ich ihn am nächsten Tag am Frühstückstisch wiedersah, brachten mich sein verquollenes Gesicht und die blutunterlaufenen, teilweise aufgesprungenen Striemen an Beinen und Armen zum Weinen. Was machten mir die Backpfeifen aus, die ich dafür einfing? Was waren sie gegen den Schmerz, der meinen kleinen Bruder wie ein Fragezeichen zusammenkrümmte?
    Boris saß da mit verkniffenem Mund, auch er bleich wie eine frisch gekalkte Wand. Sein Brötchen rührte er nicht an.
    Sogar meine Mutter und unser Gastgeber hatten Mühe, so zu tun, als sei der Anblick eines verprügelten Kindes etwas Alltägliches. Nur mein Vater schien damit keine Probleme zu haben.
    »Wer nicht hören will, muss fühlen«, stellte er zur Begrüßung lakonisch fest und forderte Georg auf, ihm doch schnell mal die Butter zu reichen. Dass dieser vor Schmerz kaum den Arm heben konnte, war unserem geliebten Erzeuger offensichtlich völlig egal.
    Während der Heimfahrt wechselten wir drei auf der Rückbank kein Wort. Boris hielt Georg im Arm und gab sich Mühe, ihn zu stützen. Trotzdem brach diesem der Schweiß aus, wenn mein Vater wie üblich um die Kurven schoss oder voll auf die Bremse stieg.
    Mein schlechtes Gewissen war kaum zu ertragen. Warum nur hatte ich nicht auf Georg gehört, hatte mich nicht gewehrt? Die Scham drückte mich nieder. Vor Angst, in seinen Augen nur noch Hass und Verachtung zu lesen, wagte ich Georg nicht anzusehen. Mein Drang, mich aus dem fahrenden Auto zu stürzen, wurde immer unwiderstehlicher.
    Dann aber schlug meine Verzweiflung in Wut um. Wie konnte dieser Lümmel es wagen, herumzuschnüffeln und sich dabei auch noch erwischen zu lassen! Was, wenn Papa jetzt auf die Idee käme, ihn in die Mangel zu nehmen, und herausfände, dass ich mit Georg über alles gesprochen und unser Geheimnis verraten hatte? Wie ich danach aussehen würde, konnte ich an Georg ablesen. Dieser Schwachkopf. Er musste ein schlechtes Gewissen haben, nicht ich. Ich konnte schließlich nichts dafür, dass Papa so ausgerastet war. Hatte ich Georg nicht immer gewarnt und ihn zu bremsen versucht? Wenn jetzt alles aufflöge, auch das mit den Kassetten, die wir heimlich aufgenommen hatten – womöglich jagte Papa mich dann tatsächlich davon und wollte nichts mehr von mir wissen. Oder er spielte allen Leuten, die wir kannten, die Kassetten und Videos vor und zeigte ihnen die Fotos, damit sie erfuhren, was für eine ich war.
    Doch meine kunstvoll gezüchtete Wut konnte meine Schuldgefühle nicht übertönen. Im Gegenteil, unter der Kruste brodelten diese nur immer stärker. Georgs scheckiges Gesicht mit den fiebrig glänzenden Augen und das Zittern, das ihn wieder und wieder überfiel, ließen sich nicht verdrängen. Trotz der Wut tat er mir so Leid. Und gerade weil dies so war, musste ich meine Wut immer höher puschen. Ein Kreislauf, aus dem ich keinen Ausstieg fand.
    Selbst abends im Bett brachte ich es nicht über mich, Georg eine gute Nacht zu wünschen. Ich überließ es Boris, ihn mit Salbe einzuschmieren, welche die Blutergüsse abschwächen sollte. Ich zog mich total in mich selbst zurück, um mir dieses schwer atmende, vor Schmerzen schwitzende Kind zu ersparen. Nicht einmal sein Schluchzen im Schutz der Nacht rührte mich an. Ich verbot mir hinzuhören, stieg aus mir aus.
    Boris zischte mich an, dass ich ja wohl einen an der Waffel hätte,

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