Monkeewrench 03 - Mortifer
zögernd.
Grace öffnete den unteren Türriegel und schob das Tor auf, und dann traten sie nach draußen ins Freie. Der Boden hier lag fast dreißig Zentimeter unter dem im Stall und war durch das viele Drüberhinweglaufen und -fahren so festgestampft, dass er sich hart wie Zement anfühlte. »Was ist das?«, flüsterte Grace.
Sharon folgte ihrem Blick zum anderen Ende der Koppel. Etwas Großes. Und … grün? Sie kniff die Augen zu, blinzelte in Richtung des Gebildes, das dort beim Koppelzaun stand, und versuchte mehr zu erkennen. »Ein Traktor«, entschied sie. »Einer von den großen. Ein John Deere.«
Annie runzelte die Stirn, unternahm ein paar vorsichtige Schritte nach vorn und reckte den Kopf wie eine Schildkröte. Das riesige grüne Ding stand unmittelbar hinter dem rückwärtigen Zaun, und kaltes Mondlicht reflektierte auf dem schmutziggrünen Metall. Sie machte einen weiteren Schritt, dann noch einen.
Mutter, darf ich? Mutter, darf ich zwei Riesenschritte machen? Sie hatten immer »Mutter, darf ich?« auf dem Schulhof in der Pause gespielt, als Annie wie alt gewesen war? – acht, neun? –, doch kein anderes Kind wollte die pummelige, unbeholfene Annie einen Riesenschritt machen lassen, weil niemand das dicke Mädchen in seiner Mannschaft wollte, als wäre Dicksein eine ansteckende Krankheit, die man sich durch bloße Nähe einfangen konnte. Heute konnte sie verdammt noch mal Riesenschritte machen, dachte sie, als sie das rechte Bein zu einem ausgreifenden Schritt nach vorn streckte und überrascht grunzte, als ihr Fuß prompt in weichem Erdreich versank, so weich, dass es ihren Schuh förmlich einzusaugen schien. Sie stieß einen leisen, erschrockenen Ruf aus, während sie mit den Armen ruderte, um das Gleichgewicht zu halten, und zugleich den linken Fuß vorstellte. Das war ein Fehler, denn er versank ebenfalls im Boden, bis über die Schnürsenkel der hohen Turnschuhe, bis über den Knöchel, bis an die Wade, und dann lag sie plötzlich flach auf dem Bauch mit weit ausgebreiteten Armen, die Nase und der Mund im Dreck, der nach Dung schmeckte und stank, und ihre Brust schmerzte vom Aufprall.
Sie hob den Kopf, spuckte, spie, wütend auf sich selbst über den momentanen Verlust jeglicher Würde als Folge ihres Sturzes. Sie versuchte ein Knie unter den Körper zu schieben, um sich dann hochzudrücken, doch es sank ein, und sie geriet beinahe in Panik. Das Zeug war wie Treibsand. Gütiger Himmel, vielleicht war es eines von jenen Löchern wie in Florida, die ganze Häuser verschluckten. Vielleicht war es das, was den Kühen zugestoßen war – und vielleicht war es das, was ihr nun bevorstand.
Sie zappelte verzagt, aus Angst, sich zu bewegen, und aus Angst, es nicht zu tun und noch tiefer einzusinken. Sie versuchte den Fuß aus dem Erdreich zu zerren, der irgendwie in dem Loch festzustecken schien, das er gemacht hatte. Als sie sich aufstützen wollte, versanken ihre Arme bis zu den Ellbogen, doch dann waren Grace und Sharon neben ihr, packten sie an den Armen und zerrten sie in die Hocke.
»Verdammt!«, ächzte Annie und klopfte sich den Dreck von Armen und Brust.
Grace starrte zu der Stelle, wo ihre eigenen Füße ebenfalls im Dreck eingesunken waren. »Was zum Teufel ist das?«, flüsterte sie.
»Scheint, als wäre der Boden gerade erst komplett umgepflügt worden.«
Annie benutzte die Hand wie eine Kelle, um den Dreck von ihrem Fuß abzustreifen.
Grace starrte nach vorn auf die unberührte Erde, die so glatt und unberührt aussah, als wäre sie gebügelt. Sie wollte gerade erwidern, dass der Boden nicht aussah wie frisch gepflügt, doch in diesem Moment stieß Annie einen eigenartigen Laut aus und blickte nach unten. »Was denn?«
Annie hockte auf den Fersen im Dreck und starrte vor sich auf den Boden. Grace folgte ihrem Blick, doch sie konnte nichts entdecken. »Was ist denn los, Annie?«
Annie schwieg immer noch. Es sah aus, als hätte sie aufgehört zu atmen.
Grace ließ sich auf die Knie sinken und starrte Annie ins Gesicht. »Was ist los, Annie?«, flüsterte sie besorgt.
Annie hob den Blick ein winziges Stück und sah Grace in die Augen, dann starrte sie wieder auf das, was sie anstatt weicher, feuchter Erde in der Hand hielt. Sie spürte ein leises Plopp in ihrem Kopf, als hätte sich soeben etwas Winziges, Zerbrechliches gelöst.
Ihre Finger waren um einen glatten, plumpen menschlichen Unterarm geschlungen, halb vergraben im Erdreich. Er war von einer eigenartigen, grau
Weitere Kostenlose Bücher