Monkeewrench 04 - Memento
du heim ... kennt man ja.»
Mary Deaton sah ihn an, als wäre ihr so ein Verhalten vollkommen fremd. «Wirklich?»
«O ja.»
Fast musste sie lächeln. «Tommy würde das gar nicht mögen, wenn ich ihn so kontrollieren würde. Er legt großen Wert auf seine Unabhängigkeit, verstehen Sie?»
«Absolut.»
Dann kamen Mary Deatons Eltern, stürzten sofort auf ihre Tochter zu und lösten damit einen neuen Tränenstrom aus, das herzzerreißende, leise Jammern einer erwachsenen Frau auf dem Rückzug in die Kindheit, als die Arme der Eltern sie noch vor fast allem bewahren konnten. Magozzi und Gino hielten sich im Hintergrund, schauten bewusst nicht zu dem umschlungenen Dreiergrüppchen hin und versuchten, die ersten Wellen geteilter Trauer zu überhören, in denen selbst der abgebrühteste Cop untergehen konnte, wenn er sich einmal erlaubte, sie wahrzunehmen.
Schließlich machte der Vater sich los, kam zu ihnen und stellte sich als Bill Warner vor. Er war größer als Gino und kleiner als Magozzi, hatte einen grauen Bürstenschnitt, ein faltendurchzogenes Gesicht, einen sichtlich gestählten Körper und eine irgendwie vertraute Haltung.
Gino musterte ihn kurz und stellte fest: «Sie sind Polizist.»
Bill Warner bedachte ihn mit einem traurigen Lächeln. «Früher, ja. Zwanzig Jahre beim MPD. Vor zwei Jahren habe ich mich zur Ruhe gesetzt - aber schön, dass man es immer noch sieht. Mary sagt, Sie waren sehr nett zu ihr. Dafür möchte ich Ihnen danken. Haben Sie sie alles fragen können, was nötig ist?»
«Für den Augenblick ja», antwortete Magozzi. «Es kann aber sein, dass sich später noch mehr ergibt.»
Warner nickte. «Das ist immer so. Wir stehen Ihnen jederzeit zur Verfügung. Alle.» Er zog eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche und reichte sie Magozzi. «Alice und ich nehmen Mary fürs Erste mit zu uns. Das hier ist unsere Festnetznummer und meine Handynummer. Können Sie mir vielleicht ein paar Hinweise geben, was eigentlich genau passiert ist? Mary sagt immer nur, dass er tot ist, und in den Nachrichten sieht man lauter Leute, die allesamt denselben Mist wiederkäuen. Mir kommt das pathetische Gerede schon zu den Ohren raus, dabei habe ich nur eine Viertelstunde Radio gehört, auf der Fahrt hierher. Die verdammten Aasgeier reden die ganze Zeit von traumatisierten Kindern, als wäre das das einzig Tragische an der Sache ...» Er unterbrach sich, holte tief Luft und wartete, bis sein dunkelrotes Gesicht wieder ein paar Schattierungen heller war. «Entschuldigung. Ich reagiere völlig falsch. Aber wir haben ja nicht mal gewusst, dass die beiden Opfer Polizisten sind, bis Mary uns angerufen hat. In den Nachrichten jammern sie die ganze Zeit darüber, dass die beschissenen Schneemänner zerstört wurden ... » Fast verlor er wieder die Beherrschung und entschuldigte sich erneut.
«Das macht doch nichts. Und nur fürs Protokoll: Dass es Polizisten sind, hat sich noch nicht herumgesprochen.» Magozzi legte dem Mann die Hand auf den Arm, was er im Umgang mit Hinterbliebenen nur selten tat. Und dann brach er einen ehernen Grundsatz und gab ihm einen knappen Überblick über das, was sie bisher wussten. Bill Warner war schließlich einer von ihnen und wusste, wann er den Mund zu halten hatte. Magozzi hatte immer noch den scheußlichen Gedanken an Toby Myerson im Kopf, gelähmt und hilflos, noch am Leben und vielleicht sogar bei Bewusstsein, während ihn jemand mit Schnee umhüllte. An sein langsames Sterben, das er vermutlich zur Gänze mitbekommen hatte. Er versuchte, diesen Aspekt in seinem Bericht so weit wie möglich herunterzuspielen, weil er vermutete, dass Warner den Partner seines Schwiegersohns gekannt hatte, doch Warner erbleichte trotzdem. Immerhin konnte Magozzi ihm versichern, dass Deaton sofort tot gewesen war. Bill Warner hörte sich alles an, ohne ihn zu unterbrechen, wie es sich für einen Polizisten gehörte, doch als Magozzi fertig war, sank er in einen Sessel und vergrub den Kopf in den Händen.
Inzwischen hatte sich das Haus mit Menschen gefüllt, und man konnte kein wirkliches Gespräch mehr aufrechterhalten. Verwandte und Freunde kamen, und durch Diele und Wohnzimmer ergoss sich ein stetiger Strom blauer Uniformen. Das Department scharte sich um einen der Seinen.
Als er mit Gino zur Tür ging, warf Magozzi einen letzten Blick auf Mary Deaton. Sie wirkte klein und hilflos inmitten der wachsenden Menschenmenge, wie ein kriegstraumatisiertes Kind zwischen lauter fürsorglichen
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