Monrepos oder die Kaelte der Macht
Zwischenstop in Miami, Florida. Ankunft nachts, irgendwann, in Kingston, Jamaica. Transfer mit Botschaftswagen ins Hotel Pegasus.
Die Triebwerke der DC 10 übertragen ein angenehmes Ermüdungsgeräusch ins Kabineninnere. Ein monotones Mach-dir-keine-Sorgen mit vibrierendem Freu-dich-schon-mal-Unterton. Die Eiswürfel im Scotch klirren nicht, so ruhig fliegt die Maschine. Die Stewardessen sind freundlich, auch in der Economy Class. Da kann man nichts sagen. Sicher, in der First Class bringen sie sich fast um vor Liebenswürdigkeit. Gleich den Mantel auf den Bügel, das Handgepäck verstaut, ein Glas Champagner zur Begrüßung, kaviarbelegte Appetithappen auf silbernem Tablett. Behaglich, aber nicht lebensnotwendig. Später mal, vielleicht.
Wenn er die Augen schließt, weiß er, was hinter dem Vorhang, den geschlossen zu halten die Crew peinlichst genau besorgt ist, vor sich geht: nichts Besonderes. Specht weit zurückgelehnt, ohne Jacket, die Beine lang ausgestreckt, in plauderndem Small talk mit Sabine Bressheim, der attraktiven Bauunternehmerin, sich entspannend.
Die Bressheim sitzt neben ihm, keine Frage. Das gebietet die Höflichkeit. Sie wird auch nur ›ganz wenig‹ von ihren laufenden Bauprojekten berichten, viel dezenter und rücksichtsvoller wird sie während des langen Fluges mit ihrem prominenten Nachbarn umgehen als die mitreisenden Stahl- und Elektronikmanager, die schon nach einer halben Stunde sämtliche Zoll- und Einfuhrprobleme der Branche vor die Füße des Landesvaters gekippt hätten, wenn man sie denn ließe. Irgendwann werden sie es trotzdem probieren, hoch überm Atlantik, aber dann müssen sie im Gang stehen und dauernd der Chefstewardess ausweichen, was lästig ist und Specht die Möglichkeit gibt, sie auf später zu vertrösten. Wenn er dann nicht ohnehin gerade ein Nickerchen macht oder sich mit Frau Bressheim über Helmut Schmidt und Alex Möller unterhält, mit denen sie, wie man weiß, sehr gut befreundet ist.
Aber auch da wird es um nicht viel mehr gehen als um Möllers legendäre Whiskey-Sammlung oder um Schmidts Umstieg auf Menthol-Cigaretten … Allenfalls wird Specht sich besorgt darüber zeigen, daß auch das jüngste Treffen des Bundeskanzlers mit Ronald Reagan in Washington nicht dazu beigetragen hat, die Spannungen zwischen der Bundesregierung und den USA abzubauen.
Wiener sitzt einige Reihen vor Gundelach. Natürlich stinkt es ihm, auch bloß zweiter Klasse fliegen zu dürfen, wie Henschke, Gundelach und Dr. Kramny, den man als hauseigenen Dolmetscher mitgenommen hat. Aber die Reisekosten-Vorschriften sind streng. Auch Ministerialdirigenten haben diesseits des Vorhangs zu bleiben.
Ja, wenn Wiener, wie allgemein erwartet, nach der Wahl Staatssekretär geworden wäre –!
Die Wahl … Überhaupt, die beiden letzten Jahre. Vieles hat sich ereignet, und rasend schnell, dem Spechtschen Stakkato angepaßt, ist alles zugegangen.
Gundelach kippt den Sessel bis zum Anschlag zurück und stülpt sich die Kopfhörer über. Classic-Rock zum zeitenthobenen Träumen. Neun Stunden Unterschied zwischen altbekanntem Januarfrost und nie erlebter Frühlingsmilde. So unwirklich wie das Leben. So aufregend wie das Leben. Da vorn sitzt einer, dessen Geist von der Vorstellung plötzlicher Ruhe gepeinigt wird wie von einer furchtbaren Drohung. Ein Veränderungssüchtiger, der das Überraschungsmoment braucht wie eine Droge. Der jeden Auftritt zum Bühnensolo stilisiert und den Applaus in sich hineintrinkt, in das unergründliche, offenbar nie zu füllende Gefäß seines Anerkennungsdrangs. Der Neues sucht, immer wieder Neues, als habe er Angst, irgendwann von etwas nicht Verwundenem angerufen und gestellt zu werden.
Dieses Unstete in Specht, sagte Tom Wiener neulich klagend. Da waren sie wohl wieder mal aneinander geraten, der Meister und seine Stimme, die sich mittlerweile ab und zu allein artikulieren, aber niemals den Anschein allzu großer Selbständigkeit erwecken darf.
Dieses manische Bedürfnis, überall im Mittelpunkt zu stehen, immer der Schnellste, Klügste und Gerissenste zu sein! Und dabei – sagte die Stimme, die offenbar jemanden brauchte, der ihr zuhörte, um sich nicht ganz aufzugeben –, dabei immer dieses unkritische Bewundern von Unternehmern! Die benutzen ihn doch bloß.
Das konnte man so sehen oder auch anders; Gundelach mochte da nicht Schiedsrichter spielen. Immerhin war Specht erst neulich in Japan gewesen und hatte mit den Bossen des Keidanren, der mächtigsten
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