Monrepos oder die Kaelte der Macht
Besetzung des ersten Untersteiner Gesprächs zu komplettieren, prüfte die Verwendungstauglichkeit der neuen VIPs für die Veranstaltung. Das Ergebnis war wenig verheißungsvoll.
Elmar Berghoff zum Beispiel hatte er bisher nur über Torfabbau und Blumenerde reden hören. Ungefähr zur selben Zeit, da Oskar Specht die ersten Schritte unternahm, das zu eng gewordene Verwaltungshemd abzustreifen, hatte Berghoff begonnen, Erde in Tüten abzufüllen und auf dem Markt zu verkaufen. Vor ihm hatte das noch niemand probiert. Wer Pflanzen kaufte, bekam auf Wunsch etwas Humus dazu, kostenlos. Heute war Berghoff der größte Blumenerdeproduzent der Welt und besaß Werke in Skandinavien, Kanada und Amerika. Er war sympathisch und natürlich, beschränkte seine gesellschaftskritischen Anmerkungen jedoch auf mittelständische Themen. Ein anderer, der über ungeheuer viel Zeit zu verfügen schien, ratschlagte zwar unentwegt, wie ›der Oskar‹ gemanagt und die Bundesregierung geknackt werden müsse, doch eignete seinen ins Telefon gedröhnten Empfehlungen die Schlichtheit säbelschwingender Hurra-Attacken. Den Bauunternehmer Tramp schließlich kannte Gundelach bislang nur vom Hörensagen.
Specht selbst zeigte sich ebenfalls nicht darauf versessen, seine lebenstüchtigen Freunde der Nagelprobe duldsamer Diskurse mit professoralen Theoretikern und abgehobenen Vorstandsvorsitzenden auszusetzen. Deshalb stellte Gundelach die Suche rasch wieder ein. Es gab, das wurde immer deutlicher, sehr gegensätzliche Facetten in Oskar Spechts Psyche – die brillierende und die zum Taktieren neigende, die weltmännische und die untergründige, die visionäre und die für Winkelzüge empfängliche. Und für alle Eigenschaften seines Charakters hatte er Pendants oder suchte sie, zielstrebig.
Besser, man vermischte das nicht.
Das Jahr neigte sich und brachte, wie Dankwart Weis, hätte er noch geschrieben, es vielleicht formuliert hätte, Aufbruch und Abschied mit sich.
Ach nein, es war nicht Weis, dieser inzwischen vollends verstummte Philosoph, der das sagte, sondern Renft, der silberhaarige, vom Bluthochdruck gezeichnete Ministerialdirektor. Korrekt, den ihn anfliegenden Hitzewallungen nicht die kleinste Konzession im Habitus zugestehend, durchs Öffnen eines Kragenknopfes etwa, führte er sein Amt zu Ende. Korrekt und im Bewußtsein tragischer Würde, wie es ihm als zuletzt unzeitgemäßen Humanisten wohl anstand.
Reichlich Schiller zitierte er in seiner Abschiedsrede, aber auch Homer und Dostojewski, solchermaßen das ganze Europa, wie es den jungen, heftigen Barbarenstürmen zum guten Schluß denn doch noch immer widerstanden hatte, zu kulturellem Zeugnis aufrufend. Er gehe freudig und ohne Wehmut in Pension, sagte er. Italien, das Land seiner Träume von Jugend an, warte. Ein verhaltenes Kichern durchraunte bei diesen Worten die zu seinen Ehren einberufene Personalversammlung. So sei denn, fuhr er unbeirrt fort, auch für ihn der Abschied ein Aufbruch – gemessen an dem, den das Land unter der dynamischen Stabführung des neuen Ministerpräsidenten erfahre, freilich ein ganz und gar unbedeutender.
Das war fein und nobel bemerkt, untadelig wie das blütenzarte Spitzentaschentuch, das sein blaues Revers zierte. Ein bißchen langatmig war es allerdings auch, und Specht, die auszuhändigende Gedenkmedaille in der Hand, schaute unruhig auf die Uhr. Renft aber mußte noch der Vorgesetzten gedenken, denen zu dienen er in seiner langen Laufbahn das Glück gehabt hatte, und er ließ sie, bis hin zu Breisinger, Revue passieren. Breisinger, der nun auch schon in Öl gemalt neben seinen Vorgängern in der Bibliothek hing und sich, wie es schien, beim Anblick des fußwippenden Nachfolgers einer gewissen verkniffenen Schadenfreude nicht enthalten konnte.
Und daß er nie den Ehrgeiz besessen hätte, es seinen jungen, in die Politik stürmenden Kollegen gleich zu tun, sagte Renft auch. Da war denn Staatssekretär Müller-Prellwitz, obzwar nicht eingeladen, ganz nahe, man sah ihn förmlich gleich Oskar Specht ungeduldig auf die teure Armbanduhr schielen.
Endlich hatte Renft ein letztes, ein allerletztes ungemein passendes Zitat gesprochen, und Specht, fünf Sätze in einen verschachtelnd, sprang hinzu, offerierte die blankpolierte Auszeichnung und meinte, mit Renft gehe unwiederbringlich eine Epoche zu Ende. Womit er zweifellos recht hatte. Dann mußte er sich, das Glas Sekt zur Hälfte leerend, mit großem Bedauern empfehlen. Der Hubschrauber
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