Monrepos oder die Kaelte der Macht
Unternehmervereinigung Nippons, gesprochen. Er weiß, was dort abgeht. Die denken in globalen Strategien, sagt er, und wir diskutieren unsere Probleme auf hohem theoretischem Niveau. Uhren, Kameras, Unterhaltungselektronik – das war erst der Anfang. Sie werden den Weltmarkt für ihre Autos, Werkzeugmaschinen und mikroelektronischen Produkte genauso aufrollen, wie sie das, milde belächelt, mit den Fotoapparaten gemacht haben. Inzwischen lächelt niemand mehr – außer den Japanern.
Seltsam nur, daß er selbst sich des Diskutierens, so oft er es öffentlich auch verhöhnt, keineswegs enthält.
Seit einem Jahr leistet man sich zum Beispiel ein exklusives wissenschaftliches Beratungsgremium, dem sogar Philosophieprofessoren angehören. Specht saugt die eloquenten Dialoge in sich auf – Tom Wiener hat es exakt vorhergesagt –, speichert Aphorismen und streut sie in seinen frei gehaltenen Reden wie wahllos gegriffene Perlen aus einem überquellenden Wissensschatz unters Volk.
Auch die Untersteiner Gespräche haben sich etabliert; gerade erst hat man sich über die Auswirkungen neuer Technologien die Köpfe heiß geredet. Und zwei Symposien mit internationaler Besetzung waren dem Verhältnis von Ökonomie und Ökologie und den Exportchancen der deutschen Wirtschaft gewidmet. Specht selbst hat jede Menge Expertenkommissionen eingesetzt. Vom Export bis zu den neuen Medien reicht der professorale Bienenfleiß. Das erste ›Eutiner Symposium‹ zu Fragen der Weltbevölkerungsentwicklung ist auch glücklich überstanden. Vollkommen seriös war es, doch ohne einen Gedanken an Heimstättenprogramme für Enthaltsame. Sogar das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit war durch einen Staatssekretär vertreten. Ob Sören Tendvall mit dem Ergebnis zufrieden gewesen ist, steht auf einem anderen Blatt.
So gesehen, fördert Oskar Specht das Diskutieren in diesem Land wie kein Ministerpräsident vor ihm. Genauer gesagt: Er läßt diskutieren, und zwar auf hohem theoretischem Niveau.
Mit untrüglichem Instinkt, denkt Gundelach träumerisch, hat er die Marktlücke entdeckt, die in diesen politisch und wirtschaftlich bedrückenden Zeiten Intellektuelle wie Unternehmer gleichermaßen schmerzt: den Mangel an Orientierung. Die hilflose Sprachlosigkeit der traditionellen Politik gegenüber einer wirtschaftlich-technischen Revolution, die immer mehr Branchen zu Boden wirft. Krise der Werften, Krise der Schwerindustrie, Krise an Rhein und Ruhr. Sterbende Regionen, zerstrittenes, gespaltenes Deutschland, paralysiertes, bis zur Lächerlichkeit ohnmächtiges Europa.
Und mittendrin macht Oskar Specht seine Politik, die wie eine Widerstandsbewegung gegen den allgemeinen Fatalismus wirkt. Die unablässig forschen und begutachten läßt und mit perspektivisch funkelndem Kometenschweif von Klausur zu Klausur eilt. Das schafft eine Atmosphäre des Aufbruchs, ein optimistisch stimmendes Credo, daß in unserem Land die Uhren anders gehen als im Rest der Republik. Und die geisteswissenschaftlichen Zauderer, die er selbst in seine Gremien beruft, dienen Specht als Folie, vor der sein solitärer Glanz als handelnder und nicht bloß klagender Politiker noch heller strahlt.
Ach, es ist wahr: einfacher, geradliniger ist der mittlerweile dreiundvierzigjährige Ministerpräsident in vier Jahren Amtszeit nicht geworden. Berechenbarkeit betrachtet er als Schwäche. Wie einen verfolgten Hasen treibt es ihn immer wieder, Haken zu schlagen. Sein liberales Image strapaziert er in der Ausländerfrage ungeniert, um es bei nächster Gelegenheit mit größter Selbstverständlichkeit erneut zur Schau zu stellen. Vor der Landtagswahl hat er gegen die angebliche Asylantenflut getrommelt, hat Sammellager und ein Arbeitsverbot für Asylbewerber durchgeboxt und damit an vielen Stammtischen Wähler gewonnen. Nach der Wahl läßt er ein großes Kontingent Cap-Anamur-Flüchtlinge ins Land. Er unterschreibt bereitwillig den Friedensappell des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der die Rüstungsspirale geißelt, und unterstützt im gleichen Atemzug den Nato-Nachrüstungsbeschluß. Der Radikalenerlaß bleibt aufrechterhalten, die Polizei wird, wie in Bayern, mit CS-Reizgas ausgerüstet. Die Kunstförderung aber wird von allen Sparmaßnahmen, die der Konjunktureinbruch erzwingt, ausgenommen. Und dem Kabelfernsehen begegnet der technologieversessene Regierungschef mit soviel Skepsis, daß sogar die SPD ihm dafür Beifall zollt.
Weiß Specht, was er will?
Er
Weitere Kostenlose Bücher