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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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höheren Eigenanteil an den Verteidigungslasten zu zwingen und damit der amerikanischen Industrie, die seit langem über die wettbewerbsverzerrende Subventionspraxis in der EG klage, Entlastung zu verschaffen. Das habe ihm Präsident Carters Sicherheitsberater Brzezinski in einem langen Vier-Augen-Gespräch ganz unverblümt bestätigt. Und wer wissen wolle, wie strategisch Amerika sich auf den technologischen Wettlauf mit Japan vorbereite, der brauche nur das Massachusetts Institute of Technology in Boston zu besuchen oder mit Harvard-Professoren zu diskutieren, wie er das unlängst wieder getan habe. Europa besitze demgegenüber gar kein Konzept, weder politisch noch wirtschaftlich. Der Bundeskanzler denke nur in monetären Zusammenhängen und halte die Probleme mit der Einführung des Europäischen Währungssystems für gelöst. Und die Deutschen könnten mit Europa als politischer Idee nichts anfangen, wie die schwache Beteiligung an der ersten europäischen Direktwahl gezeigt hätte. Und das schlimmste sei, sagte Specht, daß die scheinbare konjunkturelle Erholung, die jetzt zu beobachten sei, die wirklichen Strukturprobleme überdecke, so daß noch mehr Zeit verstreiche, bis etwas geschehe, und der Rückstand der Europäer noch größer werde. Womit er beim eigentlichen Thema sei, zu dem er erst mal gar nichts sagen, sondern bloß zuhören wolle, denn er fühle sich, was die Zukunft der Arbeitsplätze in Deutschland betreffe, furchtbar unsicher. Er habe nur das ungute Gefühl, daß noch niemand so richtig begriffen habe, was der Prozeß weltweiter Arbeitsteilung für den deutschen Maschinen- und Fahrzeugbau tatsächlich bedeute, von der Stahlindustrie und der Elektronikbranche ganz zu schweigen. Und daß auch die Zahlen, die periodisch von der Bundesanstalt für Arbeit und den wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten veröffentlicht würden, Herr Stingl und die Herren Professoren sollten ihm verzeihen, die strukturelle Dramatik der Veränderungen, vor denen man stehe, überhaupt nicht wiedergäben. Er kenne diese Zahlen und Prognosen alle, seine Leute hätten sie ihm, wie es sich für tüchtige Beamte gehöre, zur Vorbereitung des Gesprächs gewissenhaft aufgeschrieben. Nur glaube er nicht, daß sich daraus für eine langfristige, konzeptionell angelegte Politik Honig saugen lasse. Aber öffentlich werde er, Specht, das natürlich niemals sagen.
    Da saßen sie nun, die Professoren, Präsidenten und Industriebosse, und sahen sich ihrer wichtigsten Stütze, des von viele Helfern zusammengetragenen Datenkranzes, auf einen Schlag beraubt. Specht erklärte das ganze Faktenmaterial schlicht für politisch unbeachtlich. Beamtentypische Zustandsbeschreibung, bestenfalls. Nabelschau, die mit dem, was draußen in der Welt vor sich ging, nichts zu tun hatte. Wer wollte sich da noch als Kleingeist entblöden, der den Tellerrand für einen Erdmeridian hielt?
    Stingl polterte ein bißchen und Reuter hielt die Ehre der Industrie hoch, die der Politik, was das Denken in internationalen Maßstäben betreffe, eher voraus- als nacheile. Die Professoren aber beugten sich schnell und willig dem Primat der Politik, dem sie allenfalls Entscheidungshilfe, nicht aber Handlungsanleitungen anbieten könnten. Und die Kirchenmänner mahnten, über allem den Menschen nicht zu vergessen.
    Oskar Specht konnte sich entspannt zurücklehnen und genußvoll eine Davidoff ›Number one‹ rauchen.
    Abends versammelte man sich in einem abgegrenzten Teil des Französischen Restaurants, dessen Stern, gleich dem des Ministerpräsidenten, bundesweit immer heller zu strahlen begann, und nahm nach dem Champagner-Aperitif ein sechsgängiges Menue zu sich. Terrine von Lachs und Sankt-Jakobsmuscheln mit Kaviarcreme, getrüffelte Wintersalate mit zart angebratener Gänseleber, Kanadischen Hummer, Medaillons vom Lammrücken mit Kräuterkruste, Ratatouille und Champagnerkartoffeln, Käse vom Wagen und Limoneneismousse mit Erdbeeren.
    Nach dem Hauptgang dankte Specht in einer kurzen Rede den Teilnehmern für die engagierten Diskussionsbeiträge, kündigte für den nächsten Vormittag die Suche nach konkreten Lösungen zur Arbeitsplatzsicherung an und lud zum lockeren Ausklang an die Bar.
    Sören Tendvall, dem er besonders herzlich Dank sagte, hörte die Eloge nicht mehr. Er hatte sich schon aufs Zimmer zurückgezogen und aß Haferflocken mit Milch, sein tägliches Abendessen seit Jahrzehnten.

Viertes Kapitel
    Aus der neuen Welt
    Flugzeit neun Stunden.

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