Monrepos oder die Kaelte der Macht
jedenfalls ist überzeugt davon. Und es ist wahr: Jeden Schwenk kann er irgendwie einleuchtend begründen. Mag eine Entscheidung noch so widersprüchlich zum bisher verfolgten Kurs erscheinen – Specht erläutert ihren trickreichen Hintersinn mit diebischer Freude an der Überraschung, die sie auslöst.
Wie bei der Kabinettsumbildung nach der Wahl.
Da lagen alle Auguren daneben. Ausgerechnet der liberal-konservative Kultusminister Professor Dukes, Hochschullehrer bis in die feinsten Verästelungen seines altfränkisch-barocken Gemüts, wurde Innen- und Polizeiminister. Specht hatte nichts dagegen, daß die Presse das als Zugeständnis an jene wertete, die sich mehr rechtsstaatliche Transparenz, besonders beim Datenschutz, wünschten. Als Dukes’ Nachfolger aber installierte er, zum Entsetzen vieler, Staatssekretär Müller-Prellwitz, der linke Lehrer schon in seiner Monrepos-Zeit mit dem Löffel gefressen hatte.
Ja, Müller-Prellwitz war nun Herr über hunderttausend Pädagogen, und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hatte ihr neues Feindbild! Vorbei war es mit langhaarigen Studienräten, die meinten, gesellschaftskritischen Turnschuhunterricht halten zu können. Der Lehrer als Vorbild, wertkonservative Erziehung, Lernen statt Diskutieren, Vermittlung staatstragender Gesinnung – so lauteten jetzt die Maximen des Kultusministeriums. Büscher, nebenbei, ist jetzt dort Zentralstellenleiter.
Gundelach wird aus seinen Erinnerungen gerissen. Die Stewardess serviert das Mittagessen. Er stöpselt sich von der Musik ab und blickt aus dem Fenster: endloses, dunstiges Grau des atlantischen Meeres.
Fast zwei Wochen werden sie unterwegs sein: Jamaika, Amerika, Kanada. Ein Riesenprogramm. Die Bressheim-Gruppe baut in Kingston, Daimler Benz hat in Indianapolis einen strategischen Verkaufsstützpunkt für den amerikanischen Mittelwesten, und in Neufundland erwartet sie Blumenerde-Berghoff, um seine neueste Torffabrikation zu präsentieren. Und überall wird Specht Handelskammer-Reden halten und für Investitionen im Land werben. In Kramny-getextetem Schulenglisch.
›The most highly industrialized country in the Federal Republic of Germany. The center of the West German machinery industry. The center of the West German electronic and electrical goods industry. The center of West German automobile industry. The center of the West German precision instruments industry, optics and dock manufacture.‹
Vorweg der übliche Scherz, mit dem die holprige Aussprache entschuldigt wird: Mein Verhältnis zur englischen Sprache gleicht dem, das ich zu meiner Frau habe – I love her but I haven’t mastered her yet. Amerikaner wollen lachen, das steigert die Sympathie für den Redner.
Ein normaler Texaner, denkt Gundelach, muß den Eindruck haben, daß in Deutschland außerhalb unseres Landes nur Rüben angebaut werden. Auch gut. Specht wird das Loblied des Landes kompromißlos in jedes ihm entgegengestreckte Mikrofon singen.
Das Essen wird abgetragen. Tom Wiener steht auf, streckt sich und geht nach vorn, Ziel erste Klasse. Bald wird Henschke folgen, und dann auch Gundelach.
Specht erwartet, daß man sich von Zeit zu Zeit bei ihm sehen läßt. Großen Besprechungsbedarf gibt es zwar nicht: Was zur Vorbereitung der Reise zusammengetragen worden ist, die politischen Halbjahresberichte des Auswärtigen Amtes, die Biografien der Gesprächspartner, Problemvermerke, Handelsbilanzen, Firmenporträts, steht alles in den Akten. Doch Oskar Specht will ab und zu seinen Stab um sich scharen. Heike würde sagen: das Gefolge.
Einstweilen gönnt sich Gundelach noch das Alleinsein. Das Jahr ist jung, die Vorausschau angesichts düsterer Prognosen und spannungsreicher Ereignisse weniger verlockend als die Behaglichkeit, sich das Erreichte zu vergegenwärtigen.
Seit zwei Monaten darf er sich Regierungsdirektor nennen. Das ist doch immerhin ein Titel. Die Beförderung hat gerade noch geklappt, bevor die Sparmaßnahmen auch den öffentlichen Dienst erreichten. Specht hat sich zum rigorosen Sparkommissar gemausert. Eine Milliarde Mark Steuerausfälle und das vor der Landtagswahl geleerte Füllhorn lassen nichts anderes zu. Aber wie immer bei ihm: das Ziel muß höher gesteckt sein, als der schiere Sachzwang es erfordert. Im überschießenden Teil erst zeigt sich die politische Meisterschaft. Bis 1985, in drei Jahren also, will Specht die Neuverschuldung des Landes auf Null herunterfahren.
Ein Haushalt, dessen Ausgaben die Einnahmen nicht
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