Monrepos oder die Kaelte der Macht
jeder betreßte Portier vor den Luxusgeschäften rückte ins Brennglas seines Staunens. Oskar Specht, der alles schon kannte, tat ihm leid. Er, Gundelach, wollte seine Seele aufschlagen wie die leeren weißen Seiten eines Tagebuchs, und die Weltstadt sollte den winzigen, zufälligen Ausschnitt dieses Februartages 1982 darin eintragen wie eine flüchtige Widmung. Zum Schluß trat er mit schmerzenden Füßen in einen kleinen, schmuddeligen Laden und ließ sich ein T-Shirt bedrucken: New York New York – so nice they named it twice.
Die Tüte trug er wie einen Schatz zurück ins Hotel.
Lothar Sparberg, Geschäftsführer von IBM Deutschland, begleitete sie nachmittags nach Armonc, dem Hauptquartier des Giganten. Gemeinsam fuhr die kleine Gruppe zu einem Landeplatz für Hubschrauber am Hudson River und stieg in den gecharterten Helikopter, um dem zeitraubenden Stoßverkehr auf den Highways zu entgehen. Sie waren nicht die einzigen, die sich den Luxus leisteten; wie die Libellen schwebten die wendigen Lufttaxis zwischen den Stahl- und Glasrispen, und wenn der Schiffsverkehr es zuließ, unterflogen sie elegant die Brücken, auf denen sich das Massenblech voranquälte.
Armonc, das Herz und der Kopf von Big Blue, gab sich puritanisch bescheiden. Keine Bürotürme mit ausgeflippter Architektur, sondern locker verteilte Baukastenwürfel biedermännischen Zuschnitts. Schlanke, straff frisierte Herren in dunkelblauen Anzügen, adrette, hochgeschlossenen Liebreiz annoncierende Damen. Das Büro John Opels, der Nummer eins unter fast vierhunderttausend Mitarbeitern, war kaum größer als dreißig Quadratmeter und mit kunststoffbeschichteten Möbeln karg ausgestattet. Das eigentliche hierarchische Privileg, hieß es, bestand darin, daß Opel überhaupt ein abgeschlossenes Zimmer besaß. Der allgegenwärtige Korpsgeist kommunizierte ansonsten stockwerkweit über halbhohe Raumteiler und chlorophyllsatte Grünpflanzen hinweg.
John Opel war der Typ des asketischen, zurückhaltenden Intellektuellen. Gundelach hörte und glaubte es auf Anhieb, daß er jeden Morgen mit einem alten VW-Käfer zum Dienst fuhr. Genauso überzeugt war er aber auch, daß der unscheinbare Chairman in der gefürchteten monatlichen Geschäftsführersitzung mit den nationalen Statthaltern seinen Daumen ohne Zögern senkte, wenn in irgendeinem Winkel der wunderbaren IBM-Welt die Zahlen nicht stimmten. Voll scheuer Ehrfurcht wurde ihnen die Tür zum Besprechungsraum mit der riesigen Leinwand aufgetan, auf der die Konzernspitze das Menetekel der Umsatz- und Verkaufsziffern periodisch verkündete.
Nach einer kurzen Gesprächsrunde, bei der Oskar Specht auf den drohenden technologischen Rückstand Europas und seine bevorstehenden Begegnungen mit amerikanischen Regierungsvertretern hinwies, besichtigten sie noch das Forschungszentrum des Unternehmens und flogen anschließend zurück ins abendliche Lichtermeer New Yorks.
Sparberg lud sie zu Spareribs ins Kellerrestaurant des Plaza ein. Die Erleichterung, den Besuch in der Zentrale ohne Pannen hinter sich gebracht zu haben, strahlte aus seinem Gesicht. Specht zog sich bald zurück und empfahl Wiener und Gundelach, im Hinblick auf das Programm des morgigen Tages ebenfalls ›ins Nescht‹ zu gehen. Sie blieben aber noch bis nach Mitternacht und sangen unter Tom Wieners Stimmführung, daß es am Rhein so schön und der Westerwald so kalt sei. Gelegentlich kam ein Kellner vorbei und murmelte: Gentlemen, it’s not allowed to sing in here. Dem pflichteten sie frohen Herzens bei und sangen weiter.
Zum Singen und, wenn sie es denn für nötig befunden hätten, auch zum Bereuen war am folgenden Vormittag ausgiebig Gelegenheit, als sich die fromme Gemeinde internationaler Gebetsfrühstücker zum jährlichen National Prayer’s Breakfast im Hilton-Hotel versammelte.
Hunderte runder Tische im riesigen Ballsaal jenes Hotels, vor dessen Portal der amerikanische Präsident neun Monate zuvor von einem Attentäter niedergeschossen worden war, luden zum kollektiven Genuß lauwarmen Kaffees, schwammiger Brötchen und tiefgefrorener Butter. Es ging völkerverbindend-eng zu, und Gundelach traf einige Landtagsabgeordnete der CDU, die sich als eingefleischte Besucher dieser mehr dem Herzen denn dem Magen zugewandten Veranstaltung zu erkennen gaben.
Der Präsident nebst Mrs. Reagan, der Vizepräsident mit Mrs. Bush und so ziemlich die ganze amerikanische Regierung samt Gattinnen saßen auf einer Empore und huldigten den Blicken freudig
Weitere Kostenlose Bücher