Monrepos oder die Kaelte der Macht
ließ sich deren Bedienung erklären und startete.
Erst langsam, die Haftung der Kufen auf dem gefrorenen Boden prüfend, dann schneller und schneller, die Schläge des welligen Erdreichs wie eine Kampfansage in sich aufnehmend, glitt er übers Moor. Berauschte sich an der Weite, wurde süchtig nach der weißgrauen Unendlichkeit, die mit dem farblosen Himmel verschmolz. Fühlte sein Gesicht vor Kälte leblos werden, den Atem wie von einer Wand zurückprallen. Fühlte die fremde, gleichgültige, zeitlose Kraft, vor der das Ich wie Glas zerbrach, und wünschte, nie mehr umkehren zu müssen.
So raste er kilometerweit.
Erst im letzten, schemenhaften Licht fand er zurück. Die Erinnerung, wie sehr er außer sich geraten und wie leicht es ihm gefallen war, alles abzuschütteln, verfolgte ihn lange.
Den ganzen Abend über aßen sie Hummer, Hummer in allen Variationen, und tranken Wein und Champagner. Das Leben war königlich. Doch es war nichts gegen die Verlockung, sich irgendwo am Ende der Welt in den Elementen zu verlieren.
Der Rückflug verging in schläfriger Langeweile. Als sie auf dem Frankfurter Flughafen des Gepäck in Empfang nahmen, waberte ihnen süßlicher Geruch entgegen. Sechsunddreißig Botteln Appleton-Special-Jamaica-Rum lagen in Scherben. Nicht eine Flasche war heilgeblieben.
Gundelach fand, daß auch das seine Ordnung hatte.
In Sachen Solidarität
Die Sache mit Benny.
Als Gundelach nach achtzehn Tagen Abwesenheit endlich wieder in der Wohnung stand und eines jubelnden Empfangs harrte, drückte sich sein Sohn scheu und verlegen an die Mutter. Dem Zweieinhalbjährigen war der Vater, der Wochenendvater, schon etwas entfallen. Ohne Kummer hatte er sich mit Heike alleine eingerichtet. Gundelach verspürte einen Stich, der lange brannte. Wie ein Onkel auf Besuch begann er, die Geschenke herauszukramen, den Kermit aus der Sesamstraße und das gefräßige Krümelmonster, um sich durch Neugier das Zutrauen seines Kindes zurückzuerobern.
Dann wurde Benny krank, ernstlich krank. Mit Pseudo-Krupp ist es eine verzwickte Sache. Eigentlich ist es wohl nur ein Husten, nicht einmal ein Keuchhusten, ein starker, krampfhafter Husten eben, der den kleinen Körper mit Vorliebe nachts attackiert. Die Diagnose ist leicht zu stellen und nicht allzu beunruhigend. Man weiß, daß das gequälte Bellen und Jappen und Sichkrümmen in der Regel ängstigender ist als der objektive Befund. Auch liegen feuchte Handtücher und cortisonhaltige Zäpfchen bereit, um die Anfälle zu lindern.
Aber es kann, wenn auch in seltenen Fällen, doch vorkommen, daß die zur Atemnot führende Verengung der Stimmbandritze eine panische Verkrampfung auslöst, die den Erstickungstod zur Folge hat. Auf den allzeitigen Sieg elementarer Reflexe ist nicht hundertprozentig Verlaß.
Wenn das Gesicht blau anläuft, sagte der Hausarzt, dann nichts wie hin ins Krankenhaus.
Eines Abends – Gundelach tagte mit einer Expertenkommission – lief Benny blau an und hatte nur noch wenig Kraft zu röcheln. Heike raste ins Krankenhaus, wo man das zappelnde Bündel als erstes in Gurte steckte, an den Haken hängte und zu röntgen versuchte.
Als Gundelach nachts heimkehrte, war die Wohnung leer. Er telefonierte wie ein Verrückter, bis er die Bestätigung der diensthabenden Schwester des Sankt-Egidius-Kinderhospitals erhielt, daß sein Sohn stationär aufgenommen worden war. Dann verlangte er nach seiner Frau und schrie sie an, warum sie ihm keine Nachricht hinterlassen hätte.
Sie habe Wichtigeres zu tun gehabt, entgegnete sie mit gefährlicher Ruhe und legte auf.
Gundelach fühlte sich ausgeschlossen, abgefertigt. Wie ein Kunde vor heruntergelassenem Schalter. Voll Trotz legte er sich ins Bett, wartete und tat kein Auge zu. Heike blieb im Krankenhaus. Morgens fand er sie, der sich ohne Duschen und Rasur reumütig ins Auto geworfen hatte, in einem kahlen Zimmer sitzen, wächsern und bleich, mit dem Stuhl wortlos verwachsen, eingesponnen in ihre Angst. Benny lag im Sauerstoffzelt und lachte vergnügt mit seinem Bär.
Schutzfolien überall. An nichts kam Gundelach mehr heran. Das Private zog sich, wie von einem Aussätzigen, langsam zurück.
Oskar Specht hatte schon wieder eine Idee.
Natürlich hatte er immer Ideen, das war er sich und seinem mittlerweile gefestigten Ruf als Kreativpotenz der deutschen Politik schuldig. Oft genügte es ihm, die Einfälle wie Kieselsteine ins Wasser zu werfen und sich an den kleinen Wellen, die sie schlugen, zu erfreuen,
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