Monrepos oder die Kaelte der Macht
sogenannten Bundesrat, habe er schon einige Steuererleichterungen für Unternehmen erreichen können, leider noch zu wenig. Und wie bei Reagan, der den Haushalt bis 1984 ausgleichen wolle, sehe ›seine‹ Finanzplanung bis 1985 die Nullverschuldung vor. Das gebe Spielraum für Investitionen, die der mittelständischen Wirtschaft, the medium-sized industry, zugute kämen. Denn schon heute sei ›sein‹ Land the most highly industrialized country and … and …
Gegen Ende der Rede sprach er ohne Manuskript, in unbekümmert-originellem Englisch, und das Auditorium dankte es ihm mit kräftigem Applaus. Nur Dr. Kramny litt schweigend.
Abends waren sie in ein Steakhouse eingeladen, und Gundelach konnte sich nicht entscheiden, was ihn mehr erstaunte: die Qualität der handbreiten Fleischstücke oder die auf einer Bühne am Saalende ablaufende Unterhaltungs-Show. Dort schmalzte eine blonde Sängerin zum begleitenden Geklimper eines kahlen Pianisten traurige Liedchen ins Mikrofon. Das Interesse des Publikums galt aber weder ihm noch ihr.
Gleichzeitig nämlich schwang ein dürres Mädchen in kurzem Ballettrock auf einer an der hohen Saaldecke befestigten Schaukel, knapp über dem Kopf des Spielers und haarscharf am Hintern der Blonden vorbei, auf und nieder, so daß der Kahle sich immer wieder ducken und die Traurige das Becken rhythmisch bewegen mußte, was wohl als Ausdruck besonderer Virtuosität zu gelten hatte. Während das Musizieren seinen elegischen Fortgang nahm, wippte die Kleine mit verbissenem Gesicht immer höher. Als ihre Füße die Holzdecke fast erreicht hatten, erhob sich im Saal aus hundert steakverstopften Kehlen enthusiastisches Geschrei.
Take the bell! Take the bell! riefen die Texaner frenetisch.
Erst da bemerkte Gundelach die kleine Glocke, die das Ziel der gymnastischen Übung war. Sobald das Mädchen mit der Fußspitze die Glocke berührt hatte und ein dünnes Pingping den Erfolg anzeigte, brach die Musik ab, die Schaukelnde pendelte aus, alle drei verbeugten sich, die Steakesser klatschten tosend und griffen wieder zu Messer und Gabel.
Danach forderte der Pianist die Gäste auf, es ebenfalls zu versuchen. Sofort erklomm eine ältere Dame das Podium, verkündete, daß sie heute ihren siebzigsten Geburtstag feierte, sang nach kurzer Absprache mit dem Klavierspieler in fisteliger Höhe Glory, Glory Halleluja!, bestieg die Schaukel und schaffte es, mit wehenden Röcken das Haupt des Mannes zu verhüllen. Worauf der Saal raste, stehend Happy Birthday intonierte und sich wieder dem Essen zuwandte.
Das, dachte Gundelach beeindruckt, ist wohl wirklich Amerika.
Ehe sie anderntags nach Dallas aufbrachen, besuchten sie noch das ›NASA-Manned Spacecraft Center‹, das Trainings- und Kontrollzentrum der US-Weltraumbehörde südöstlich von Houston. Beim Anblick der Computer, Monitore, Simulatoren, Prüfstände und Raketen bekam Oskar Specht glänzende Augen.
Wir müssen uns mehr um die Weltraumtechnologie kümmern, erklärte er. Henschke notierte, daß der Chef Gespräche mit Daimler, Dornier und der Deutschen Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt wünschte, Gundelach deckte sich mit Informationsmaterial ein. Er brauchte sowieso mal wieder ein neues Thema für eine Grundsatzrede.
Die Inlandsflüge gestalteten sich für Henschke besonders schwierig. Da er in seinem Handgepäck Dutzende metallischer Geschenkutensilien, von Feuerzeugen bis zu Landesmedaillen, verstaut hatte, schlug die elektronische Schleuse auf den Flughäfen jedesmal an wie ein Hofhund. Während sein Persönlicher Referent ergeben die Stück-für-Stück-Kontrolle über sich ergehen ließ, jagte Specht ungerührt weiter.
Ein ähnliches Schauspiel vollzog sich nach den Landungen. Der unglückselige Seaga hatte Specht als Abschiedsgeschenk zwei Kisten Jamaika-Rum verehrt, die, der Teufel mochte wissen warum, immer zuletzt ausgeladen wurden. Und entgegen aller Hoffnungen kamen sie stets wohlbehalten an. Bis Henschke sie in Empfang genommen hatte, war Specht meist schon im Hotel. Hier in der amerikanischen Provinz wartete kein großer Bahnhof auf ihn – bestenfalls ein schläfriger Konsul oder Handelskammer-Repräsentant, der den VIP nach Vertreterart mit Beschlag belegte und nicht mehr aus den Fingern ließ.
In Dallas hielt Specht im wesentlichen dieselbe Rede wie in Houston, doch war die Reaktion zurückhaltender. Gundelach hatte den Eindruck, daß das stark mit Bänkern durchsetzte Publikum besser über die aktuellen Streitfragen
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