Monrepos oder die Kaelte der Macht
edelster Teil, zugeschlagen zu werden.
Die von den Monrepos-Strategen in Gang gesetzte Maschinerie arbeitete dagegen präzise. Das Crescendo bedingungsloser Polarisierung steigerte sich bis zum Parteitag am 29. Januar, auf dem Breisinger eine beispiellos polemische Rede hielt und die Welt in gute und böse, aufbauende und zerstörerische Kräfte schied. Die Gräben, die er zog, waren so breit und tief, daß auch der Gutwilligste sie nicht mehr überspringen konnte. Man mußte sich entscheiden: wer nicht für ihn war, war gegen ihn. Oskar Specht und die Fraktion schwenkten ein, gaben den Kurs begrenzter Konflikte mit der Regierung auf und tuteten wie der Großmeister im Schloß abendländische Erweckungsfanale ins Horn. Jeder wußte jetzt: Das war kein einfacher Wahlkampf mehr, das war ein Kreuzzug christlicher Ritter gegen rote Vandalen, welche im Falle des Sieges das Land brandschatzen, plündern und knechten würden.
Dann aber, als alle politischen Kommentatoren besorgt fragten, wohin der archaische Streit noch führen möge, wenn neun Wochen vorm Wahltag schon solche Töne angestimmt würden – nach dem Parteitag also, auf dem das Wahlprogramm ohne Diskussion und Aufmerksamkeit angenommen wurde, verebbten die Attacken plötzlich, und an ihre Stelle trat eine heitere und positive Geschäftigkeit, die in denkbar größtem Gegensatz zum vorangegangenen Hauen und Stechen stand.
Ein Minister nach dem anderen legte seine Leistungsbilanz vor. Die Zahlen bezeugten Fleiß und Geschick, sie verhießen Wachstum und weiteren Wohlstand. Auf lokaler Ebene setzte es sich fort, indem die Abgeordneten der CDU, verstohlen ihre Unterlagen aus der Staatskanzlei zu Rate ziehend, bei Früh- und Dämmerschoppen Schulen und Schwimmbäder, Kindergärten und Kläranlagen auflisteten, die ihrem rastlosen Einsatz zu verdanken waren. Das verfehlte seinen Eindruck nicht, vier Jahre sind eine lange Zeit, da kommt manches zusammen. Und wer will schon beckmesserisch nachforschen, wie es sich mit Ursache und Wirkung im einzelnen zugetragen hat?
Im übrigen war Fastnacht. Die Hexen und Hansele, die Schantle und Hemdglonker, die Strohbären und Schneggasucher waren los. Sie durchtobten Tage und Nächte. Breisinger ließ, wie Noah in der Arche, von jeder Zunft ein Pärchen zu sich ins Schloß, bereitete ihnen, selbst in heimatliche Tracht gewandet, einen landesfürstlichen Empfang und dichtete ordensgebeugt: Politiker und Narren, wer hat den größten Sparren?
Gerade als die SPD sich vom Schock der ›Schmutzkampagne‹ des Januars zu erholen begann, als Fraktion und Landesvorstand eine neue Strategie des Zurückholzens billigten und Meppens seine Abscheu vor diesem Niveau der Auseinandersetzung halbwegs überwunden hatte, wollte keiner mehr hinhören. Die Bürger machten Politikpause und feierten, die Regierenden tauchten weg, hakten sich unter, zeigten sich volksnah und versöhnlerisch. Wie Knallfrösche zerbarsten die unzeitgemäßen Platitüden der Opposition, wurden Opfer der allgemeinen Spottlust, und diese Niederlage war schlimmer als die erste, denn nun lachte das Volk darüber.
Überdeckt noch vom Trubel der Maskeraden, begann danach das Landesjubiläum in die Zeitungsspalten und Terminkalender vorzudringen. Vorberichte zur großen Kaiserausstellung erschienen, voller Bewunderung für den Glanz, der zu erwarten stand.
Die Welt des Friedrich Barbarossa, des sechsten Heinrich, des sizilianischen Friedrich schimmerte herauf, angefüllt bis zum Rand wie ein edler Goldpokal mit heroischen Kämpfen, gewaltigen Schicksalen, mit Reichtum, Macht und Tod. Das hatte, genaugenommen, nur mikroskopisch feine, genealogische Verbindungen ins Land hinein – wenig mehr, als daß man von manchem amerikanischen Milliardär zu berichten weiß, seine Vorfahren stammten aus irgendeinem vergessenen Weiler im Schwarzwald oder im Spessart. Aber die Kunde von den schwindelnden Höhen, zu denen ein übermächtiger Wille die Geschlechter in der Ferne emporgetragen hatte, kehrte nun zurück ins heimische Revier. Sie war belegt mit Kronen, Zeptern und Schmuck, mit Insignien einer fremden, einschüchternden Herrschergewalt und angeweht vom Atem aufwühlender Geschehnisse, in der Politik ein titanisches Ringen zwischen Kirche und Reich, Orient und Okzident gewesen. Die ewigen Sehnsüchte des Deutschen nach Sonne und Licht, nach Weltgeltung und Unsterblichkeit entzündeten sich im Brennglas der Geschichte.
Kaum hatte Breisinger das Narrengewand ausgezogen,
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