Monrepos oder die Kaelte der Macht
bei.
Der Tag endete mit einem Galadiner, bei dem Smoking und Abendgarderobe Pflicht waren. Das Schloß des Königs Wilhelm glühte in opulentem Lüsterschein. An den langen, damastüberzogenen und silberschweren Tafeln war versammelt, was Rang und Namen hatte. Genugtuung rötete die Gesichter. Gegen zweiundzwanzig Uhr kündete ein zerplatzender Knall das Jubiläumsfeuerwerk an. Man drängte hinaus auf die Balkone, erhitzt und fröstelnd. Der Himmel leuchtete.
Breisingers großer Tag, die übervolle Sternstunde seines Lebens, ging zu Ende.
Die folgende Woche verstrich wie in kollektiver Betäubung. Wenig war von Politik zu sehen und zu hören. Die vorausgegangenen Ereignisse mußten erst verarbeitet werden. Im Blätterwald der öffentlichen Meinung dampfte das Geschehen nach wie aufsteigender Nebel aus regengesättigten Wiesen. Vor dem Museum bildeten sich lange Schlangen Einlaßsuchender; nur zögernd kehrte der Alltag zurück.
Dann aber, exakt sechs Tage vor der Wahl, kündigte die CDU den fast schon klösterlich zu nennenden Frieden abrupt auf – gerade als ihn die Opposition, auf allgemeine Erschlaffung und Wahlträgheit spekulierend, zu schätzen gelernt hatte.
Von Tausenden Großplakaten herab schleuderte ein leidenschaftlicher, die braunen, sehnigen Hände beschwörend öffnender Rudolf Breisinger seine Botschaft ins Volk. Sie bestand aus zwei Worten:
FREIHEIT WÄHLEN!
Kein Lächeln war in seinem harten angespannten Gesicht, kein weicher, zerfließender Hintergrund milderte das kantige Profil. Kompromißlos, nicht bittend, sondern fordernd, verlangte er Gefolgschaft.
Freiheit wählen! Einer weiteren Begründung bedurfte es nicht. Man hatte vor Augen, was auf dem Spiel stand. In den Zeitungen schwoll ein Chor ähnlich lautender Appelle an, kleine, aber auffällige Testimonials, unterzeichnet von rechtschaffenen Bürgern, illustriert mit biederen Paßfotos – Menschen wie du und ich, besorgt um die Früchte ihrer Arbeit, entschlossen, ihr Land, ihr stolzes, im Zenit stehendes Land mit Klauen und Zähnen gegen das drohende Chaos zu verteidigen.
Die SPD hatte keine Kraft mehr zur Gegenwehr. Sie schaltete einige Anzeigen, sprach von Verrat und Manipulation und wartete ergeben aufs Volksurteil am Wahlsonntag.
Am 3. April 1977, gegen zwanzig Uhr, stand fest: Die CDU hatte mit 57 Prozent das beste Ergebnis ihrer Geschichte errungen. Die SPD lag knapp über 30 Prozent. Manch einer meinte, das Debakel für die Opposition hätte noch schlimmer ausfallen können.
Politische Theorien
Bernhard Gundelach saß an seinem Schreibtisch und räumte auf. Stöße von Papier, aus überquellenden Schubladen hervorgekramt, unterzog er einer flüchtigen Prüfung und entschied sich zumeist, sie samt und sonders wegzuwerfen. Zwar sagte ihm sein Instinkt, daß er vieles von dem, was er jetzt dem Reißwolf überantwortete, schmerzlich vermissen werde, wenn der nächste Wahlkampf heranrückte. Doch gerade dies bestärkte seinen Widerwillen gegen die Hinterlassenschaften einer monatelangen, Geist und Seele auszehrenden Anstrengung, deren Resultate nun, da die Schlacht geschlagen war, niemanden mehr interessierten.
Die Leitwölfe haben es gut, dachte er bitter. Wenn das Opfer erlegt ist, können sie sich sofort um ihren Anteil an der Beute streiten. So bleibt ihnen erspart, zur Besinnung zu kommen.
Er selbst hatte, das wußte er, nichts zu erwarten. In kürzestmöglicher Frist war er Regierungsrat und Beamter auf Lebenszeit geworden. Sein Platz auf Monrepos war unumstößlich gesichert – ein Jahr, nachdem er die Anhöhe erstmals mit bangem Herzen erstiegen hatte. Was durfte er darüber hinaus wünschen?
Das Haus aber summte von Gerüchten. Sie betrafen die Bildung der neuen Regierung, für die Breisinger nach seinem triumphalen Erfolg alle erdenklichen Freiheiten besaß, und auch die Zukunft der Abteilungsleiter, denen Abwanderungsgelüste nachgesagt wurden. Wer Anspruch auf welche Belohnung erheben konnte: das galt in diesen äußerlich ereignislosen Tagen als beliebtester Gesprächsstoff in der Kantine.
Dr. Weis hatte seine eigene Theorie. Bei zähem Schnitzel und Flaschenbier, das er in gewaltigen Schlucken jedem Bissen hinterher schwemmte, entwickelte er personalpolitische Szenarien, die zwischen dem, was der Ministerpräsident jetzt tun müßte, und jenem, was er wahrscheinlich tun werde, einen fast schon traurig stimmenden Gegensatz konstruierten. Breisinger erschien demnach als ein vom Schicksal Geschlagener, den
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