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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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Die Christdemokraten konterten, nun fange die SPD auch noch an, die Bürger zu beschimpfen. Breisinger schwieg zu dem Streit, ließ aber erklären, er freue sich, daß verdienstvolle Persönlichkeiten wie Carlo Schmid und Alex Möller ihre Teilnahme am Festakt im Schauspielhaus der Landeshauptstadt zugesagt hätten.
    Meppens selbst war es, der schließlich Order gab, die Angriffe einzustellen. In aller Eile wurden neue Plakate gedruckt: ›Dem Land zuliebe − SPD!‹. Sie kamen gerade noch rechtzeitig zum 19. März, dem Tag der Feierlichkeiten.
    Er begann mit einem ökumenischen Gottesdienst früh morgens in der Sankt-Vincentius-Kathedrale. Schon da war der Bundespräsident zugegen. Zu Fuß begab sich die vielhundertköpfige Prozession danach zum Landtagsgebäude, vorbei an einem ansehnlichen Menschenspalier, begleitet von Winken und Applaus, von Fahnen und Wimpeln umflattert, die kalte Luft voll schimmernden Glockengeläuts.
    Im Landtag gedachte man der konstituierenden Sitzung des ersten Nachkriegsparlaments. Noch lebten Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung; mit fleckigen, nach innen gekehrten Gesichtern saßen sie in den vordersten Reihen und vernahmen unbewegt, was Jüngere zu ihrem Lob zu sagen wußten. Ein kurzer Stehempfang in der Lobby, dann wechselte das illustre Publikum hinüber zum einen Steinwurf weit entfernten Schauspielhaus. Bereitschaftspolizei, berittene Polizei, Polizei mit Schäferhunden riegelte das Gelände ab. Nieselregen setzte ein, die großen schwarzen Protokollschirme reichten knapp für all die Würden- und Bürdenträger.
    Im Schauspielhaus sprachen der Bundespräsident, der Ministerpräsident, der Landtagspräsident und ein Professor für neuere Geschichte, der Freiheit und Toleranz als einander bedingende Wesensmerkmale des Landes und seiner Bürger erkannte. Das Orchester spielte Beethovens Leonorenouvertüre und Haydns Kaiserquartett.
    Um zwölf Uhr dreißig, mitten im akademischen Festvortrag, ertönte ein Gong – und eine Geisterstimme rief tremolierend:
    ›Wir gedenken jetzt der Gründung unseres Bundeslandes, welche zu dieser Minute vor fünfundzwanzig Jahren erfolgte!‹
    Dann rauschte und knackte es. Im Parkett und auf den Rängen erhob sich die Festversammlung von ihren Plätzen. Auch Breisingers silbermähniger Vorgänger und dessen in greisenhafter Askese erstarrter Wegbereiter, den der Bundespräsident fürsorglich stützte, erhoben sich und lauschten der auf Band konservierten Stimme des allerersten Regierungschefs, der die Geburt des neuen Landes ›… im gegenwärtigen Zeitpunkt, zwölf Uhr und dreißig Minuten!‹ hell und mit krächzender Schärfe verkündete. Worauf ein donnernder Lärm einsetzte, der keineswegs von ungeteilter Zustimmung zeugte, denn die CDU war damals überrumpelt und bei der Kabinettsbildung übergangen worden, und in den grammophonen Tumult hinein, mit überschlagendem Diskant, rief der verblichene Staatsgründer zwiefach: ›Gott schütze das neue Bundesland!‹ – nun endlich auch von Beifall und Bravorufen unterstützt, in den sich, erst zögerlich, dann anhaltend, die Akklamation der Lebenden im Theatersaal mischte.
    Das Mittagessen der Spitzengäste wurde in einem Salon des nahegelegenen Hotels serviert. Dort hatte man auch Tageszimmer angemietet, um den höchsten Staatsrepräsentanten eine genau bemessene Ruhepause zu gönnen. Kurz vor siebzehn Uhr rollten dann die schwarzen Limousinen mit aufgesetztem Stander vors Portal des Landesmuseums. Der Andrang der Schaulustigen war noch größer als am Vormittag. Der Bundespräsident, als leutselig bekannt, schüttelte ausgiebig Hände in der ersten Zuschauerreihe, Breisinger, dessen Arme länger waren, bediente die zweite.
    Die Ausstellung war beängstigend groß und schön. In frischen, goldumsäumten Farben leuchteten die Miniaturen, die Stoffe und Mäntel, golden prunkten die Kelche und Reliquienschreine, der Zierrat der Edelsteine glänzte unwirklich im mystischen Halbdunkel. Übergroße, starre Augen in übergroßen, zur Seite geneigten Häuptern. Ewigkeitsblicke, Distanzgesten, Machtstereotypen. Dazwischen, wie absichtsloses Beiwerk, Vorboten der Individualität: ein Lächeln, ein Schmerz, eine Knollennase. Menschliches im Randfigürlichen.
    Stumm beugten sich die Notablen der Demokratie über die Vitrinen, aus denen sie das 13. Jahrhundert kalt und fern fixierte.
    Großartig! murmelte der Bundespräsident immer wieder.
    Einmalig, pflichtete Breisinger ein ums andere Mal

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