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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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schlüpfte er in den purpurnen Mantel des fernen, aber legitimen Nachkommen jener statuarischen Idole; korrespondierte und umgab sich mit Geschichte und wurde selbst ein Teil von ihr. Seine Interviews erhoben sich über den kleinlichen Zank der Parteien, zeichneten Zeitläufe nach und voraus, erkannten ›gesamtabendländische‹ Zusammenhänge und Bezüge, vergaßen aber auch selten den Hinweis, daß in einer Demokratie nun mal der Wähler über Glück und Verderben eines Landes zu befinden habe.
    ›Was der Mensch sei, sagt ihm nur die Geschichte‹, sprach er vor Museumsdirektoren aus aller Herren Länder, welche den heiklen Transport ihrer unschätzbar wertvollen Exponate persönlich überwachten und von der Regierung wie Botschafter hofiert wurden. Und wem Wilhelm Dilthey noch zu wenig war, dem wuchtete er stehenden Fußes Arthur Schopenhauers Diktum: ›Erst durch die Geschichte wird ein Volk sich seiner selbst voll bewußt‹ entgegen. Ohne Unterlaß streute er diese Samenkörner in die Herzen andächtig lauschender Historiker, nobler Stifter, würdiger Kuratoren, ernstgestimmter Altpolitiker. Den allgegenwärtigen Journalisten, auch wenn sie der hohen Gedankenflüge manchmal überdrüssig zu sein schienen, verdeutlichte der rauschende Schlußbeifall doch allezeit, daß hier etwas Unangreifbares geschah, eine Art Verwandlung und Verschmelzung von Einst und Jetzt, deren Inkarnation, dem Zugriff entzogen, leibhaftig und gleichwohl wie entrückt vor ihnen stand. Das machte sie mutlos und gegen ihre sonstige Gewohnheit gefügig. Denn es ist eine Sache, Politiker zu kritisieren, eine andere aber, historische Weihestunden frech zu stören.
    Auch das, was Gundelachs Part war, reifte heran. Die ersten Jubiläumsfeste wurden erfolgreich absolviert, Minister und Staatssekretäre hatten in kleinen Gemeinden große Auftritte, und zwei Millionen ›Unser-Land-feiert-Geburtstag- Illustrierte‹ versorgten jeden Haushalt vierfarbig und kostenlos mit Rätseln, Reisetips, Gewinnspielen und ein bißchen Regierungspolitik. Schaufensterauslagen wurden in den Landesfarben dekoriert, Trinkgläser und Bierseidel mit Staatswappen tauchten auf, Brauereien machten Werbung für Jubiläumspils und Jubiläumsbock, der Original-Blumenstrauß wurde in vielen Blumengeschäften nachgebunden, Vereinsblätter füllten sich mit Ausschreibungen für Jubiläumswettbewerbe, die Tageszeitungen kündigten Jubiläums-Sonderausgaben an, in allen öffentlichen Gebäuden hingen Jubiläumsplakate.
    Anfang März verwendeten die ersten Journalisten, des sprachaufwendigen Trennens von Kaiserausstellung und Jubiläumsjahr müde, den Begriff ›Kaiserjahr 1977‹. Das bürgerte sich rasch ein, es entsprach dem Empfinden vieler, einem exemplarischen, nicht zu wiederholenden Ereignis beiwohnen zu dürfen. Breisinger selbst benutzte die Vokabel zwar sparsam, weil sie aus seinem Mund wie Eigenlob klang. Die Karikaturisten aber krönten ihn ohne Hemmung, und Meinungsumfragen zeigten den Landesvater auf einem nie erreichten, nie für möglich gehaltenen Gipfel der Popularität. Die Identifikation von Staat, Partei und Spitzenkandidat war gelungen.
    Während der offizielle CDU-Wahlkampf eher gemächlich dahinplätscherte, die aggressiven Schablonen der Januaroffensive längst gegen freundliche ausgetauscht waren, die Tatkraft versprachen und um Vertrauen warben, mußte die SPD ihre Grundlinie erneut ändern. Sie war, indem sie sich zu derben, aber verspäteten Reaktionen auf die ehrabschneidende Kampagne der Gegenseite hatte hinreißen lassen, in eine Falle geraten. Das Land feierte, es sonnte sich in Vorfreude; nur die Genossen standen grämlich abseits. Alle Vorurteile gegen linke Politik schienen bestätigt – Humorlosigkeit, verbohrter ideologischer Eifer, mangelnder Patriotismus.
    An der Basis brodelte es. Ortsvereine weigerten sich, die vom Landesverband übersandten Plakate zu kleben, Mandatsträger warfen Meppens fehlendes landespolitisches Fingerspitzengefühl vor, sozialdemokratische Bürgermeister erklärten öffentlich, das Jubiläum nach Kräften unterstützen zu wollen. Mit einem Schlag war es wieder da: das mühsam kaschierte, nur der Parteidisziplin wegen unterdrückte Unbehagen am Theoretiker Martin Meppens, der um weltweite Visionen, nicht aber um die Stimmungslage vor der Haustür wußte.
    Die Parteiführung reagierte gereizt. Sie beschuldigte die CDU, den berechtigten Stolz der Bürger auf die Landesgeschichte zu Wahlkampfzwecken zu mißbrauchen.

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