Monrepos oder die Kaelte der Macht
Frau.
Am nächsten Tag begleitete er sie zum Arzt. Anschließend bummelten sie durch die Babyausstattungs-Abteilungen mehrerer Kaufhäuser.
Oskar Specht nutzte die Feiertage auf seine Weise. Mit dickem Filzschreiber malte er Kästchen auf Papierbögen, füllte sie mit Namen, strich einige wieder durch und ersetzte sie durch andere. Ministerien und Politikbereiche wurden den Namenskästchen zugeordnet, die Gesamtarchitektur mit Linien und Pfeilen verstrebt.
Bis das Gebilde fertig war, bedurfte es etlicher Telefonate. Spechts Amtsnachfolger im Innenministerium, der es schon unter Breisinger zum Justizminister gebracht hatte, nachdem Dr. Rentschler ausgeschieden war, mußte ebenso befragt werden wie Kultusminister Professor Dukes, der sich mit dem neuen Wissenschaftsminister Angel, einem ehemaligen Universitätsrektor, das Erbe des zähen Baltus teilte. Mit dessen Kondition verbanden Specht eigene Erfahrungen. Wenige Monate vor seinem Sturz hatte Breisinger ihn beauftragt, den störrischen Kultusminister davon zu überzeugen, daß es unumgänglich sei, aus Altersgründen zurückzutreten. Worauf Baltus den Kollegen zu einer mehrstündigen Bergwanderung einlud, an deren Ende der fast dreißig Jahre Ältere seinen entkräfteten Partner fragte, ob er diese Begründung immer noch aufrecht erhalte. Genützt hatte ihm der alpine Fitneßnachweis freilich nichts. Politisches Überleben entscheidet sich selten an frischer Luft.
Tom Wiener wurde gleichfalls in die Rundrufaktion einbezogen, ebenso der für Müller-Prellwitz in die Staatssekretärssuite nachgerückte frühere Geschäftsführer der CDU-Fraktion. Wer bei Specht etwas werden oder bleiben wollte, tat gut daran, Urlaub als telefonischen Bereitschaftsdienst aufzufassen. Renft dagegen blieb unbehelligt. Es genügte, ihm die Ergebnisse mitzuteilen.
Anfang 1979 lag die neue Struktur der Staatskanzlei vor. Die Grundsatzabteilung wurde aufgelöst, eine neue landespolitische Abteilung geschaffen, die Pressestelle ausgebaut. Ministerialdirigent Bolder fand sich als Leiter der Verwaltungsabteilung wieder. Deren Chef, Ministerialdirigent Dr. Zucker, durfte sich künftig Europabeauftragter des Ministerpräsidenten nennen.
Zuvor jedoch verschaffte sich Zucker einen Abgang, der lange für Gesprächsstoff sorgte. Dem allgegenwärtigen terroristischen Menetekel zu begegnen, war seine große Leidenschaft. Auf allen Balkonen der Nachbarschaft hatte er schon gestanden und über einen Stock visierend mögliche Schußwinkel ausgekundschaftet. Wo immer sein scharfes Auge einen Durchblick auf die Zufahrt zum Schloß erspähte, rückten anderntags Baumpflanzkolonnen des Botanischen Gartens an. Monrepos wurde zügig von Edelgehölzen umstellt. Den freundlichen Alten, um die es sich bei den Wohnungsinhabern zumeist handelte, half es nichts, ihre staatstreue Gesinnung zu beteuern. Einige zeigten sogar unaufgefordert den Mitgliedsausweis der CDU. In Sachen Sicherheit war Dr. Zucker unerbittlich. Und unerbittlich verstärkte er an allen strategischen Punkten die Umgrenzung des Parks mit dickwandigen Wachtürmen , auf denen freilich kaum je ein Polizist gesichtet wurde. Ein aufwendiger Schleusenbetrieb mit Panzerglastüren konnte zudem das ganze Schloß sekundenschnell in eine Festung verwandeln. Wegen des Widerstands der Belegschaft unterließ man es jedoch, die zum täglichen Betrieb notwendigen Codekarten auszugeben, weshalb die Schleusen während Zuckers Amtszeit nie in Dienst gestellt wurden.
Seinen ausgeklügelten Sicherheitsmechanismus als Investitionsruine vergammeln zu sehen, traf den Verwaltungschef schmerzlich. Deshalb löste er wenige Tage vor seinem Wechsel nach Brüssel eigenhändig Alarm aus, ohne eine Menschenseele vorher zu informieren. Kampfbereitschaft läßt sich eben nur unter Echtheitsbedingungen überprüfen. Sofort war die Landeshauptstadt erfüllt vom Geheul der Polizeisirenen. Alle Straßen im Umkreis von Monrepos wurden hermetisch abgeriegelt. Das Verkehrschaos war unbeschreiblich. Und die gesamte Mannschaft des Schlosses, Specht inklusive, saß drinnen fest; die Schleusen funktionierten tadellos.
›Rucki-Zucki‹, der seinem Spitznamen ein letztes Mal alle Ehre gemacht hatte, genoß den Triumph mit der bittersüßen Selbstgenügsamkeit des verkannten Künstlers. Danach packte er seine Sachen.
Die neuen Abteilungsleiter holte sich Specht aus dem Innen- und dem Kultusressort. Dafür versetzte er zwei Beamte, die nach Müller-Prellwitz’ Aufstieg und Pullendorfs
Weitere Kostenlose Bücher