Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf
seinem Schreibtisch hin und her zu schieben.
Voller Zuversicht, dass er immer noch das nötige Fingerspitzengefühl besaß, welches ihn all die Jahre an der Macht gehalten hatte, betrat Serge Célines Büro und umarmte seine langjährige Sekretärin herzlich. Céline, die ganz benommen war von dem Schock, ihn nach so langer Abwesenheit leibhaftig vor sich zu sehen, und benebelt vom Einatmen der penetranten Rasierwasserdämpfe, wusste gar nicht, wo sie anfangen sollte. Sie griff nach einem Stapel von Papieren, die unterzeichnet werden mussten, und der Bürgermeister machte sich sogleich daran, jeden Brief mit einer schwungvollen Bewegung zu unterschreiben, während sie ihm die Nachrichten vorlas, die an diesem Tag hinterlassen worden waren. Bald schon war sie bei den letzten Punkten der Liste angelangt.
»Hm … was sonst noch? Ach, ja. Philippe Galy ist gerade hier gewesen. Er wollte unbedingt wissen, wann die nächste Gemeinderatsversammlung stattfindet.«
»Ich habe gerade mit ihm gesprochen«, erwiderte Serge, ohne aufzublicken. »Ist schon erledigt.«
Céline strich einen weiteren Punkt und kam zur letzten Notiz auf ihrer Liste.
»Und dann hat noch Pascal angerufen«, sagte sie. Ihre Stimme versah seinen Namen mit einem Schuss Verächtlichkeit.
»Ich dachte, der wäre im Urlaub«, blaffte Serge, der die Aufmerksamkeit nun auf seine Sekretärin konzentrierte.
»Ist er auch. Kommt nächsten Montag wieder. Er wollte bloß wissen, ob alles in Ordnung ist.«
»Er hat aus den Alpen angerufen, weil er fragen wollte, ob alles in Ordnung ist.«
Céline präsentierte eine gute Imitation von Pascals albernem Lächeln, und der Bürgermeister entspannte sich. Es war an der Zeit, die Falle vorzubereiten.
»Was ich noch fragen wollte, Céline«, sagte er mit ernstem und besorgtem Tonfall. »Hat der Trottel daran gedacht, Monsieur Web Ster den Brief zu geben, den ich letzte Woche für ihn auf dem Schreibtisch liegen gelassen habe, als er für mich eingesprungen ist?«
Céline runzelte die Stirn. »Da bin ich mir nicht sicher. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er etwas in der Richtung erwähnt hätte. War es etwas Wichtiges?«
»Sehr wichtig sogar.«
»Ich werde auf Ihrem Schreibtisch nachsehen. Seit er letzten Donnerstag Ihr Büro benutzt hat, ist niemand mehr dort gewesen.«
»Würden Sie das tun? Ich werde unterdessen hiermit weitermachen.« Serge hielt den Atem an, während Céline durchs Büro in den Raum nebenan trippelte. Als er sicher sein konnte, dass sie außer Sichtweite war, zog er einen Briefumschlag aus seiner Tasche und schob ihn in den Poststapel, der darauf wartete, abgeholt zu werden. Anders als der Brief unter seinem Schreibtisch, den Céline hoffentlich nicht entdecken würde, musste dieser hier schleunigst zugestellt werden. Er setzte die Besitzer der Auberge über die bevorstehende Prüfung in Kenntnis. Aber auf diese Weise, ohne Einweihung seiner Sekretärin, würde es, wenn der 26. Januar kam, keinen Akteneintrag des Vorgangs imRathaus geben, und das war genau das, was er beabsichtigte.
»Wo lag er denn genau?«, rief Céline von der anderen Seite der Türöffnung.
»Auf meinem Schreibtisch. War eigentlich nicht zu übersehen«, erwiderte er und hoffte inständig, dass sie nicht zu genau nachschauen würde.
»Tja, jetzt ist er nicht mehr da.« Er vernahm das willkommene Geräusch ihrer Schritte, als sie in ihr eigenes Büro zurückkehrte und die Verbindungstür hinter sich schloss.
»Er muss es wohl erledigt haben«, sagte sie und nahm dem Bürgermeister die unterzeichneten Papiere aus der Hand. »Das grenzt ja fast an ein Wunder!«
Serge verabschiedete sich und versprach Céline, dass er bis spätestens Ende der kommenden Woche wieder zurück in seinem Büro sein würde. Sie erkundigte sich mit neckender Stimme, ob das daran läge, dass er seine Frau zurückerwarte, und er brachte in Erwiderung darauf ein jungenhaftes Grinsen zustande. Das wich allerdings rasch wieder von seinem Gesicht, als er die Treppe hinunterging, und an seine Stelle trat die gequälte Miene eines Mannes, dem das Schlimmste widerfahren war, was das Leben zu bieten hatte, und der dazu verdammt war, damit zu leben.
Verrat fiel Christian Dupuy nicht leicht, und als der Mittwochabend kam, machte sich diese Last langsam bemerkbar. Jeden Abend hatten er und René sich im Schutz der Dunkelheit in der Auberge getroffen, und gemeinsam hatten sie daran gearbeitet, den alten Heizkessel und den Öltank auszutauschen.
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