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Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf

Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf

Titel: Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Stagg
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das tun, wo Pascal doch erklärt hat, das das unmöglich sei? Das kann doch nicht in seinem Interesse sein.«
    »Egal! Jetzt können wir Zuschüsse bekommen und vielleicht auch Dach reparieren!«
    »Ich werde mich noch heute Abend an den Papierkram setzen«, platzte Stephanie dazwischen. »Auf diese Weise sollten wir alles rechtzeitig schaffen.«
    »Aber seht euch diese Passage hier an.« Christian deutete auf einen Satz mitten im Text und begann laut zu lesen.
    »Unter Bezugnahme auf mein Schreiben vom 15. Januar setze ich Sie hiermit in Kenntnis, dass es mir gelungen ist, eine erneute Brandschutz- und Sicherheitsprüfung der Auberge des Deux Vallées zu organisieren, die am Montag, den 26. Januar stattfinden wird.«
    Christian zog wegen des Datums seine Uhr zu Rate und rechnete kurz nach.
    »Der 15. war letzten Donnerstag. Habt ihr letzte Woche einen Brief vom Bürgermeister bekommen?
    Paul schüttelte den Kopf. »Nein, kein Brief. Als wir imRathaus waren, war er nicht da, nur Pascal Souquet. Er uns keine Hilfe gegeben, kein Brief.«
    »Das habe ich mir schon gedacht.« Christians Stirn legte sich in Falten. »Also, worauf bezieht er sich?«
    »Wahrscheinlich ist er nur durcheinander«, sagte Véronique. »Er scheint ja viel am Hals zu haben, seit seine Frau weg ist!«
    René stieß ein unanständiges Lachen aus, aber Annie beeilte sich, sie zu tadeln.
    »Du solltest es besser wissen, als zu klatschen, Véronique!«, sagte sie mit scharfer Stimme.
    »Aber wie kannst du ihn verteidigen, Maman? Nach allem, was er getan hat?«
    Annie presste die Lippen zusammen und gab einen schnaubenden Laut von sich.
    Christian dagegen war nicht überzeugt.
    »Der alte Fuchs führt irgendwas im Schilde. Ich weiß bloß noch nicht, was.«
    Lorna legte eine Hand auf Christians Arm. »Vielleicht hat er sich anders überlegt? Warum fragen? Wir sind so dankbar!«
    »Ja, natürlich, du hast ja recht.« Christian wollte nicht die gute Stimmung verderben. »Es sind tolle Neuigkeiten.«
    »Aber nur, wenn wir hier auch fertig werden«, warf René barsch ein. »Also los, Schluss mit der Faulenzerei!«
    Und damit ging die Gruppe auseinander, und jeder machte sich nach dieser unerwarteten Neuigkeit mit dem guten Gefühl an seine Arbeit, dass ihre Mühen nicht umsonst sein würden.
    Christian war nicht so heiter gestimmt. Er kannte den Bürgermeister schon zu lange und traute ihm nicht über den Weg. Aber er entschied, die Sache für den Moment beiseitezuschieben und sich darauf zu konzentrieren, die Brandmauerum den neuen Heizkessel hochzuziehen. Doch seine Gedanken kreisten weiter um die Angelegenheit. Das Problem war, dass die abrupte Kehrtwende des Bürgermeisters für jeden in der Gemeinde nur von Vorteil sein konnte. Und genau das machte ihn so misstrauisch.
    Während sich Christian alle Mühe gab, die komplizierten Drehungen und Wendungen in den Denkvorgängen des Bürgermeisters zu durchschauen, wünschte sich dieser zum ersten Mal in seinem Leben, dass alles ein bisschen weniger kompliziert wäre. Aber eigentlich war nichts simpler als der Tod, und das war die Realität, der er ins Auge sehen musste.
    Es war der Abend vor der erneuten Prüfung der Auberge , und er wachte am Bett seiner Frau, wie er es während der ganzen letzten Woche getan hatte. Ihr Zustand verschlimmerte sich zusehends. Inzwischen vermochte sie kaum noch zu sprechen, verlor immer wieder das Bewusstsein, und ihre Atmung war flach und mühsam. Er brauchte keinen Arzt, um zu wissen, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte.
    Als draußen das Licht langsam schwand und sich der Klang ihres schweren Atmens mit dem Prasseln der Regentropfen mischte, die ans Fenster schlugen, fragte er sich, ob sie wohl Schmerzen hatte. Die Schwestern hatten ihm versichert, dass die Medikamente stark genug waren, um ihr Leiden zu mindern, aber er machte sich dennoch Sorgen. Sie war so schwach, wirkte so zerbrechlich. Serge war fast davon überzeugt, dass sie aus dem Zimmer schweben würde, wäre da nicht das Gewicht des Rosenkranzes, dessen Perlen um ihre Finger geschlungen waren und das sie wie ein spiritueller Ballast, einem Anker gleich, in dieser Welt festhielt. Er legte seine Hand auf die ihre, die so bleich und schlaff auf der Bettdecke ruhte. Im Vergleich zu ihrer war seine eigene, von vielen Jahren der Schufterei in denWolfram-Minen übel zugerichtete Hand von blühender Gesundheit.
    Fünfundzwanzig Jahre. Er streichelte ihre regungslos daliegenden Finger. Ein Vierteljahrhundert, seit

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