Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf
vernahm.
»Sie sollten jetzt wirklich nach Hause gehen«, sagte sie, und ihr Gesicht nahm einen weicheren Ausdruck an. »Ich werde mich heute Nacht gut um sie kümmern.«
Er nickte benommen und ging ein wenig taumelig zur Tür.
»Sie werden mich doch anrufen, wenn …« Die Worte gingen ihm aus, aber die Schwester verstand ihn auch so.
»Wenn es irgendeine Veränderung geben sollte, werden wir Sie sofort verständigen.«
Irgendwie schaffte er es bis zum Ausgang, wo sich eine Gruppe von Besuchern drängte. Viele inhalierten dankbar ihre erste Zigarette seit den vielen Stunden, die sie drinnen verbracht hatten, andere schlurften ebenso betäubt wie er zu ihren Autos.
Auf dem Nachhauseweg versuchte er sich auf die Straße zu konzentrieren, aber das fiel ihm schwer. Dieses Schamgefühl, das ihre Worte in ihm geweckt hatten, wurde immer stärker, bis er an nichts anderes mehr zu denken vermochte. Sie hatte sich bei ihm entschuldigt! Nach all den Affären, die er vor ihr verheimlicht hatte, den Intrigen, die er gesponnen hatte, der Art und Weise, wie er es als selbstverständlich betrachtet hatte, dass sie für ihn da war. Er schüttelte den Kopf, um die Bilder daraus zu vertreiben, und umklammerte das Lenkrad fester.
Immer noch aufgewühlt bog er um die letzte Kurve vor La Rivière, und die Auberge des Deux Vallées kam in Sicht. Das Erste, was er bemerkte, waren die Lichter. Es schien so, als seien in sämtlichen Zimmern des ganzen Hauses die Lampen eingeschaltet. Er drosselte das Tempo, und als er auf gleicher Höhe war, erblickte er einen Mann, der sich aus einem der unteren Fenster lehnte, um die Läden zu schließen. Ihre Blicke begegneten sich durch den herabfallenden Regen, und Serge begriff sogleich, was die Anwesenheit des Mannes zu bedeuten hatte.
Ein trockenes Lachen entschlüpfte ihm. So lief der Hase also jetzt. Die Besitzer der Auberge , die sich offenbar nicht scheuten, selbst zu einer List zu greifen, hatten sich fremde Hilfe geholt. Er bezweifelte, dass es ihnen in der Kürze der Zeit und angesichts ihrer angespannten finanziellen Lage gelungen war, viel zustande zu bringen. Aber wenigstens bewiesen sie damit Entschlusskraft und Unternehmergeist. Vielleicht würden sie ja doch ganz gut hierher passen.
Er beendete seine Fahrt die gewundene Straße nach Fogas hinauf leichteren Herzens. Als er an seinem Haus ankam – das einzige im Dorf, dessen Fensterläden noch offen standen und das in völliger Dunkelheit lag –, konnte er den kommenden Tag kaum erwarten. Er freute sich ganz besonders darauf, Thérèse zu erzählen, dass er eingelenkt und seine Erlaubnis erteilt hatte, die Auberge wieder zu öffnen, obwohl sie auch bei der zweiten Prüfung durchgefallen war. Und dass es ganz so aussah, als würde das englische Paar doch hierbleiben.
»Mist!«, rief Christian und zog den Kopf mit seinen regenfeuchten Locken rasch durch das geöffnete Fenster der Auberge zurück in den Speisesaal.
Véronique, die auf einem Barhocker saß, das gebrochene Bein auf einen Stuhl gestützt, fiel beinahe von ihrem Sitz, als er immer noch fluchend das Fenster zuknallte.
»Was ist denn los?«
»Der Bürgermeister. Verdammt! Der Bürgermeister hat mich gerade gesehen. Er ist genau in dem Moment vorbeigefahren, als ich mich hinausgelehnt habe, um die Läden zu schließen. Scheiße!«
Eine nervöse Stille erfüllte den Raum, die nur von der kratzigen Akkordeonmusik unterbrochen wurde, die im Hintergrund aus dem Radio ertönte.
»Bist du dir auch sicher, dass er es war?«, fragte René, die Zigarette vergessend, die er halb gerollt in den Händen hielt.
»Dieses Gesicht ist nun wirklich unverwechselbar.«
»Na ja, vielleicht hat er dich ja gar nicht gesehen«, wandte Stephanie ein.
»Und ob er mich gesehen hat. Der Mistkerl hat mich sogar angegrinst.«
René zog vernehmlich die Luft ein.
»Das ist nicht gut«, sagte er. »Das ist gar nicht gut.«
»Herrschaft noch mal!«, rief Annie genervt. »Was kann er uns denn schon anhaben? Wir brechen ja schließlich kein Gesetz.«
Paul trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Er hatte sich bemüht, dem hitzigen Wortwechsel zu folgen, und begann zu ahnen, dass sich seine Nachbarn Schwierigkeiten eingebrockt hatten, weil sie ihnen halfen.
»Verdammt!« Christian schlug sich gegen die Stirn. »Und dabei lief doch alles so gut!«
»Ist nicht deine Schuld«, warf Véronique ein. »Er hätte es doch morgen ohnehin erfahren. Und sieh es mal positiv. Jetzt müssen wir unsere
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