Monster Kontrolle
aus. »Haben Sie mal alte Filme gesehen?«
Chipper nickte. »Ja, Ma'am. Ich liebe sie!«
»Dann werden Sie feststellen, dass in alten Filmen alle rauchen. Die ganze Zeit. Selbst in der Kirche. Scheiße, sie zünden sich sogar eine an, wenn sie auf der Intensivstation liegen! Wenn das hier also eine echtes 50er-Jahre-Essenserlebnis sein soll, halte ich es für vernünftig, auch anzunehmen, dass ich hier rauchen darf.«
Chippers Lächeln verblasste nicht. »Uns geht es hier nicht um die vollkommene Erfahrung, Ma'am. Ich meine, wenn wir genau sein wollten, müssten auch alle schwarzen Gäste im hinteren Bereich des Restaurants sitzen. Und das würden wir doch nicht wollen, oder, Ma'am?«
»Da hat sie recht«, sagte Monster.
• Chipper (adj.) = munter .
Chipper nahm ihre Bestellung auf und schaffte es, noch zwei »Ma'am«s bei Judy anzubringen, bevor sie in Richtung Küche davon hüpfte.
»Tut mir leid, dass es nicht aufregender war«, sagte Monster schließlich, »aber so läuft es einfach. Im Normalfall.«
»Ich hab's bemerkt.«
Um ungefähr drei Uhr morgens hatte Judy entschieden, dass Monsters Job genauso langweilig war wie ihr eigener. Drachen und Zauberei veränderten das Wesen der Welt auch nicht, und Arbeit war todlangweilig, ob man nun eine Supermarktangestellte war oder ein Monsterjäger.
»Selbst wenn Sie eine Bewilligung bekämen«, sagte er, »es würde doch nichts ändern. Der Job bringt nicht mehr groß was ein. Kryptos kommen nicht häufig genug vor, dass man davon leben könnte. Ich verdiene in den meisten
Monaten nicht einmal genug, um die Miete zahlen zu können. Nicht ohne ein bisschen Hilfe von meiner Freundin. So läuft's eben in der Welt. Kryptos sind genauso wie alle anderen Tiere. Sie brauchen Raum zum Leben. Je mehr Raum wir einnehmen, desto weniger bleibt für sie. Manche können sich anpassen, aber die meisten verschwinden. Es wird nicht mehr lange dauern, bis ich nur noch einen Fang pro Nacht haben werde.
Nicht, dass das ein Problem wäre. Die Geburtenrate der Kundigen fällt auch, und in zwei- oder dreihundert Jahren wird kein lebender Mensch mehr etwas von Magie wissen. Sie wird wahrscheinlich immer auf irgendeine Art vorhan-den sein, aber wer wird es bemerken? Wird wahrscheinlich durch Numerologie, Astrologie, Tarotkarten und all das Zeug ersetzt, das die Menschen zwar gern als magisch betrachten, das es aber eigentlich gar nicht ist.«
Judy hatte als Teenagerin eine Phase durchgemacht, in der sie ein Regal voller Bücher über Zeichen und Planetenanordnungen und all das besessen hatte. Es wäre nett gewesen zu denken, sie könnte da etwas auf der Spur gewesen sein.
»Offenbar hatten Sie in letzter Zeit eine Menge zu tun«, sagte Judy.
»Es gibt immer Hochphasen. Normalerweise zwei oder drei im Jahr. Diesmal kommt sie ein bisschen früher als vorhergesagt, aber das ist nicht unüblich.«
»Und wie sehen Ihre Pläne aus?«, fragte sie. »Was wollen Sie tun, wenn die Kryptos ausbleiben?«
»Ich weiß nicht. Hab noch nicht darüber nachgedacht.«
»Machen Sie sich Sorgen?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht. Vielleicht.« Er starrte in seinen Kaffee und heuchelte schroff Gleichgültigkeit. »Wachen Sie auch manchmal auf und fragen sich, was zum Geier eigentlich passiert ist? Was Sie da tun? Und Ihnen wird klar, dass alles den Bach runtergegangen ist und dass es vermutlich Ihre eigene Schuld ist. Aber nun ist es zu spät, es wieder hinzukriegen und Sie müssen lernen, damit zu leben, weil es ja nicht geht, dass Sie wieder zur Schule gehen oder den Konkurrenzkampf noch mal meistern oder von vorn anfangen? Denn das klingt gut, das klingt, als könnte es funktionieren. Aber wenn Sie nicht so ein Versager wären, würden Sie ja überhaupt nicht in dem Schlamassel stecken. Warum sich also die Mühe machen, noch mal von vorn anzufangen? Weil Sie immer noch ein Versager sind und sich das nicht ändern wird, sosehr Sie es auch wollen.«
Das konnte sie nachvollziehen. Darüber versuchte sie in ihrem eigenen Leben schon eine ganze Zeit lang nicht nachzudenken. Sie sah sich im Diner um und bemerkte bei mindestens der Hälfte der Gäste dieselbe Ein-Tag-nach-dem-andern-Haltung. Wir können nicht alle Chipper sein, so optimistisch und fröhlich, unbeschwert, weil morgen sicher ein besserer Tag sein wird, und weil das Heute normalerweise auch gar nicht so schlecht ist. Judys Leben war nicht einmal so schlecht. Nur nicht besonders gut, was auf gewisse Art noch schlimmer
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