Monströs (German Edition)
in Kaltenbachs Kopf klaffte jetzt ein Loch von der Größe eines Tennisballes. Den Rest hatte sie mit der großkalibrigen Pistole weggeschossen, samt dem darunter liegenden Kabinenboden.
Selma setzte sich ungerührt auf den ihm gegenüberliegenden Sitz. Jetzt sah er ihr Gesicht. Es zeigte keine Regung. Die Sekunden vergingen. Sie machte keine Anstalten, etwas zu sagen, oder ihn von seinen Fesseln zu befreien. Sie senkte nur den Blick und spielte mit der riesigen Pistole in ihren kleinen Händen. Offensichtlich stand sie unter Schock. Doch jetzt würde alles gut werden. Auch Martin war noch zu mitgenommen, etwas zu sagen. Sein tauber und gebrochener Arm, die verletzten Rippen, die verschmorte Wange und die abgekniffene Fingerkuppe sendeten noch immer Schmerzimpulse an sein Gehirn, doch irgendwie hatte er sich fast daran gewöhnt. Er konnte es besser ertragen, als zu Anfang. Der Schmerz war ein fester Bestandteil seiner Existenz geworden. Stumm schaute er sie an, bis schließlich Selma das Wort ergriff.
»Wie heiße ich?«, sagte sie.
Martin war wie vor den Kopf gestoßen. Was sollte das?
»Selma«, krächzte er und wunderte sich, dass seine Stimme wieder funktionierte. »Würdest du mich bitte losmachen?«
Sie rührte keinen Finger.
»Wie noch?«
»Was, wie noch?«
»Wie heiße ich mit Nachnamen?«
»Nowak, du heißt Selma Nowak und du hast mir das Leben gerettet. Ich weiß, du stehst unter Schock, aber bitte, befrei mich von diesen Fesseln, dann können wir von hier verschwinden.«
Selma schüttelte den Kopf.
»Das kann ich nicht.«
Martin glaubte, sich verhört zu haben. Jedes einzelne Wort traf ihn wie Faustschläge vom Mike Tyson.
»Was? Warum kannst du nicht?«, stotterte er. Dabei fühlte er sich angeschlagen wie ein Boxer, der blind und orientierungslos im Boxring umhertrudelte. Er konnte spüren, wie er in die Seile glitt, seine Knie weich wurden und seine Beine nachgaben. Aber er wollte es nicht wahrhaben.
Selma sah ihm jetzt fest in die Augen und das, was er dort sah, machte ihm Angst. Dort war nichts mehr von der Wärme zu sehen, die er von der Freundin seiner Frau, die nach ihrem Tod immer für ihn da gewesen war, kannte. Er sah nur noch Leere.
»Weil Nowak mein Mädchenname ist. Ich habe ihn nach dem Tod meines Mannes wieder angenommen. Ich hieß früher Winkler und du bist der Letzte auf meiner Liste.
61
Als Ram die Augen wieder aufschlug, lag er in einem Bauernbett in einem rustikalen, holzverkleideten Zimmer. Augenblicklich war alles wieder da. Der Unfall und die Männerstimme. Aber an mehr konnte er sich nicht mehr erinnern. Wo war er und wo war Paul? Er setzte sich ruckartig auf und fasste sich an den Schädel, der in einen dicken Verband gepackt war. Er blickte sich um. Die hellblauen Stoffgardinen vor dem Fenster zu seiner Linken waren zugezogen. Doch er konnte erkennen, dass es langsam hell wurde. Auf der anderen Seite an der Wand stand ein weiteres Bett. Eine Frau saß daneben und hielt eine kleine Hand, die unter der dicken Bettdecke hervor schaute. Als sie bemerkte, dass Ram zu sich gekommen war, drehte sie sich zu ihm und lächelte ihn an. Sie hielt den Zeigefinger vor den Mund, als Zeichen, er solle still sein. Jetzt sah Ram, wer in dem Bett lag. Es war Paul und zu seiner Verwunderung schien der Junge zu schlafen. Mühsam schälte er sich aus dem Bett. Jeder Knochen tat ihm weh. Aber das war belanglos. Er musste ins Hotel. Er stellte fest, dass jemand ihm die nasse Hose ausgezogen haben musste. Sie hing über einem Stuhl nahe dem Heizkörper unter dem Fenster. Er schnappte sich die Hose, zog sie über und ging zur Tür.
»Mein Mann und mein Sohn haben sie beide gefunden. Gehen sie runter, mein Mann wird ihnen alles erklären«, flüsterte die Frau.
Ram nickte ihr zu und verließ das Zimmer. Der Flur war weiß verputzt. An den Wänden hingen Bilder mit Bergmotiven. Ram ging an mehreren Türen vorbei und erreichte die Holztreppe, die nach unten führte. Das Haus wirkte auf ihn wie eine Pension. Als er unten ankam, konnte er durch eine offene Tür in die Küche sehen. Der Duft von frisch gekochtem Kaffee strömte ihm entgegen. Die Küche selbst war groß und geräumig. Ein großer Tisch mit einer gemütlichen Ecksitzgruppe fand darin Platz. Ein großer, kräftiger Mann mit einem eckigen Gesicht, saß auf der Bank vor dem Fenster. Er lachte breit und zeigte seine gelben Zähne, als Ram den Raum betrat.
»Na, wieder unter den Lebenden. Setz dich erst einmal und trink
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