Monströs (German Edition)
Arbeitszimmer mit einem Schreibtisch aus poliertem Kirschholz und bis zur Decke reichenden Bücherregalen. Alles war aufgeräumt und an seinem Platz. Geradeaus ging eine zweiflügelige Tür aus Milchglas ins Wohn- und Esszimmer. Bevor Martin sie aufstieß, holte er noch einmal tief Luft. Doch auch in diesem Raum konnten sie nichts Besonderes entdecken. Die sich an den langen Esszimmertisch anschließende offene Küche sah so aus, als wäre sie selten, vielleicht auch noch nie benutzt worden. Auf der linken Seite befand sich eine Tür neben der braunen Ledercouch.
»Dahinter ist das Schlafzimmer. Von dort aus geht es ins Bad«, sagte Selma leise.
Martin warf ihr einen ängstlichen Blick zu. Er kam sich vor wie Dr. van Helsing, der einen Sarg zu öffnen hatte, um den darin liegenden Vampir mit einem Holzpflock ins Herz zu töten.
Sehr langsam gingen sie auf diese Tür zu. Eine unsichtbare Macht schien sich ihnen in den Weg zu stellen, denn es fiel Martin unglaublich schwer, seine Hand zu heben, und die Klinke nach unten zu drücken. Als er es schließlich doch tat und die Tür aufstieß, fiel sein Blick auf ein zerwühltes Bett. Die Nachttischlampe verströmte ein gedämpftes Licht. Neben dem opulenten Kleiderschrank befand sich die Tür zum Bad. Sie war nur angelehnt und durch den Spalt fiel ein heller Lichtschein quer über das Bett. Martin konnte nicht für Selma und den Koch sprechen, aber sein Atem ging flach und schnell. Sein Herz pochte so dumpf und hart, als ob es aus seiner Brust herausspringen wollte. Er war außer Stande, einen klaren Gedanken zu fassen und so stieß er instinktiv und vorsichtig gegen die Tür. Geräuschlos schwang sie auf. Das weiß geflieste Bad war hell erleuchtet. Die Deckenspots und die goldenen Armaturen, die gewöhnlich für ein heimeliges Ambiente sorgten, schufen jetzt die Atmosphäre einer königlichen Schlachthalle.
Martin brach auf der Stelle zusammen und landete unsanft auf seinen Knien. Er wollte schreien. Sein Mund öffnete sich, doch es kam kein Ton heraus. Er sah die Badewanne. Rotes Wasser. Er hatte das schon mal gesehen. Er hatte das alles schon einmal mitgemacht. Der Raum verkleinerte sich und wurde zu einem weiß gefliesten Tunnel, der in ein grelles Neonlicht getaucht war. Martin kniete auf dem Boden. Er steckte in einer Zwangsjacke und das Quietschen eines haltenden Zuges hallte ohrenbetäubend an den Fliesen wieder. Jetzt schrie Martin wirklich. Er hörte nicht, was Selma und Meier von sich gaben. All das drang wie weit entfernt zu ihm durch. Er war eingefroren in diesem Moment und gleichzeitig drei Jahre zurückgeworfen, wobei der Anblick, der sich ihm jetzt bot, bis auf die Person, die damals im Mittelpunkt stand, identisch war.
Eine Badewanne. Rotes Wasser. Auf dem Wannenrand, eine leere Flasche Whiskey und eine leere Packung Schlaftabletten. Das Wasser der Wanne war rot vom Blut, das aus den Adern der Selbstmörderin geflossen war. In dieser Wanne lag weiß, regungslos, tot – Marianne Seewald.
Er wollte nur die schrecklichen Bilder in seinem Kopf los werden, die sich seiner zu bemächtigen versuchten. Er wusste, dass er das kein zweites Mal mehr durchstehen konnte.
»Warum hat sie das getan, warum?«, hörte er Meier jammern.
Selmas Antwort drang lauter zu ihm durch.
»Sie war es nicht.«
Martin war auf dem Weg zurück in diesen Raum, in diesen Moment. Er konnte wieder denken, wieder atmen. Er wusste, was Selma meinte.
»Wer dann?«, gab Meier hysterisch von sich.
»Er war es«, sagte Selma. Klar war, dass sie damit Kaltenbach meinte. Ihr Tonfall war völlig nüchtern. Ihre Augen hafteten auf der Wanne. Sie steht unter Schock, dachte Martin und erhob sich vom Boden. Er musste sich zusammenreißen. Gleichzeitig wusste er, dass nur der Gedanke an seinen Sohn Paul ihm diese Kraft verlieh. Den Verstand zu verlieren, hätte bedeutet, Paul aufzugeben und das hätte Anna ihm nie verziehen und er sich auch nicht. Jetzt erst nahm er den säuerlichen Geruch wahr, der ihm augenblicklich den Magen umdrehte. Meier stand vor der Lache seines eigenen Erbrochenen.
Martin richtete seinen Blick auf die weißen Fliesen hinter der Badewanne. Jemand hatte mit Blut einen Namen dorthin geschrieben. Diesmal war es nicht, wie unten in Kaltenbachs Zimmer, sein Name, der ihnen wie eine Fratze des Todes in die Augen sprang. Doch der Mann, der auf diesen Namen hörte, war ebenfalls in diesem Hotel. Dort stand – Söder.
Voll Abscheu ging Martin näher an die Wanne heran. Das
Weitere Kostenlose Bücher