Monströs (German Edition)
riskieren sollen, die vermeintlich Schlafenden zu wecken, und was hätte Zurbriggen mitten in der Nacht in der ersten Etage zu suchen gehabt. Nein, es war viel wahrscheinlicher, dass Kaltenbach das Hotel aus welchen Gründen auch immer zunächst verlassen hatte, was die Fußspuren im Schnee vor der Eingangstür erklären würde und nun über ein Fenster in der ersten Etage wieder eingestiegen war. Martin wollte Selma und Meier jedoch nicht verunsichern, also behielt er seine Überlegungen für sich. Seine eigene Theorie hatte zumindest etwas Gutes für sich. Wenn Kaltenbach unten im Keller war, dann konnte er nicht hier oben sein.
Martin klopfte ein letztes Mal an die Tür und wartete. Vergebens. Dann ging der kleine Tross zur Tür von Marianne Seewald. Schon im Näherkommen bemerkte Martin, dass etwas nicht stimmte. Als sie vor der Tür standen, wurde seine unbestimmte Wahrnehmung zur Gewissheit. Die Tür stand einen Spalt weit offen. Dahinter herrschte völlige Dunkelheit. Selma drückte gegen das schwere Türblatt. Es schwang leicht ohne jedes Geräusch auf. Das einfallende Licht aus dem Flur gab den Blick in eine große Diele frei.
»Was hat das zu bedeuten?«, flüsterte Meier. Er erhielt darauf keine Antwort. Fest stand, dass hier offensichtlich etwas nicht stimmte. Warum sonst hätte die Wohnungstür der Hoteleigentümerin mitten in der Nacht offen stehen sollen. In Kombination mit der Tatsache, dass ein geistesgestörter Killer im Hotel herumlief, war das eine Tatsache, die kein Zufall sein konnte und etwas Unheilvolles verhieß. Martin wünschte, er hätte sich früher nach einem Gegenstand umgesehen, mit dem er sich und die anderen hätte verteidigen können. Sie hätten sich beispielsweise mit Messern aus der Küche ausstatten können, als sie noch unten im Erdgeschoss gewesen waren. Dann hätte er sich jetzt ein wenig besser gefühlt. Doch daran hatte er nicht gedacht. Wahrscheinlich wäre es ihm auch zu riskant gewesen, in die Großraumküche zu gehen. Dort hätte sich Kaltenbach am ehesten verschanzen können. Jetzt erschien ihm das als geradezu lächerlich. Ein Messer wäre das Risiko allemal Wert gewesen, zumal er ja die Fußspuren draußen vor dem Hotel entdeckt hatte. Nun suchte er vergeblich nach einem Stock oder etwas Ähnlichem, das geeignet war, um sich einen Angreifer vom Leib zu halten. In der rechten Dielenecke erspähte er eine weiße Porzellanfigur, eine Madonna, auf einem hölzernen Ständer.
»Frau Seewald, ist alles in Ordnung!«, rief Martin in die Diele.
Es kam keine Antwort. Martin rief jetzt noch einmal und viel lauter. Doch auch diesmal kam keine Reaktion.
»Vielleicht hat sie vergessen, die Tür zuzuziehen«, sagte Meier.
Martin sah Meier fassungslos über dessen Naivität an. Gern hätte er an diese einfache Erklärung geglaubt. Meier musste seinem Blick entnommen haben, dass er seine Worte unter den gegebenen Umständen geradezu für lächerlich hielt, denn er wandte seinen Kopf beschämt zur Seite.
»Wir müssen nachsehen«, sagte Martin schließlich.
Meier machte einen Schritt zurück, um klar zu machen, dass er dafür nicht zu haben war. Dann setzte ein leises Geräusch ein, dass am Tage vielleicht kein Gehör gefunden hätte. Aber jetzt in der völligen Stille drang es gedämpft aber deutlich durch. Es war ein Geräusch, dass ihren Puls vorantrieb und das Grauen in ihren Hirnen heraufbeschwor.
18
Dong, Dong, Dong. Es war der Fahrstuhl. Er hatte sich wieder in Bewegung gesetzt. Meier schaute angsterfüllt hinter sich zum Eingang des Korridors. Er machte wieder einen Schritt nach vorne. Plötzlich war er sich nicht mehr sicher, ob er in der Wohnung von Marianne Seewald nicht besser aufgehoben war.
Wie auf ein Kommando machten alle drei einen Schritt in die Diele. Nachdem Selma das Licht angeschaltet hatte, verzog sich das von der Dunkelheit ausgelöste Gefühl des Grauens. Der Raum wirkte einladend und freundlich und Martin schloss die Tür. Erst jetzt bemerkte er, dass das Türblatt doppelt so dick war, wie die normalen Zimmertüren, und dass es durch sieben Bolzen gesichert war. Er drehte den innen im Schloss steckenden Schlüssel und die Bolzen rasteten ein. Auch wenn nicht klar war, was sich in den umliegenden Wohnräumen verbarg, fühlte sich Martin abgeschottet in dieser Diele besser, als in dem schummrigen Licht des Hotelflurs. Dieses Gefühl sollte nicht lange vorhalten.
Die Tür zur Linken führte in ein Gäste-WC, die Tür zur Rechten in ein
Weitere Kostenlose Bücher