Monströse Welten 1: Gras
Vorstellung einer anderen Intelligenz paßte ihm nicht ins Konzept.
»Bosheit? Bei einem Tier?« fragte Vater James.
»Weshalb sagen Sie ›Tier‹, Vater James?« gab Bruder Mainoa die Frage zurück. »Warum sagen Sie das, Vater?«
»Weil… weil sie das schließlich sind.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
Vater James blieb ihm die Antwort schuldig. Statt dessen reichte er Vater Sandoval eine helfende Hand, der sich verärgert über die Stirn fuhr und sich nach einer Sitzgelegenheit umschaute.
»Dort drüben, Väter«, sagte Bruder Lourai und winkte ihnen. »Wir haben uns in diesem Arbai-Haus eingerichtet. Ich habe auch etwas zu trinken da.«
Dankbar für die Erfrischung und die Sitzgelegenheit nahmen sie auf Stühlen Platz, deren Proportionen sie allerdings etwas irritierten. Die Arbai waren eine langbeinige Rasse gewesen. Ihre Stühle waren nicht für Menschen konzipiert. Zumindest nicht für solche Menschen. Sie saßen wie auf einem Hocker.
Vater James griff das Thema wieder auf. »Sie fragten, weshalb ich die Hippae als Tiere bezeichnete? Nun, ich habe sie gesehen. Sie verhalten sich eindeutig wie Tiere, nicht wahr?«
»Welche Indizien für Intelligenz würden Sie denn akzeptieren?« fragte Bruder Mainoa. »Werkzeugherstellung? Beerdigung der Toten? Verbale Kommunikation?«
»Ich weiß nicht. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht. Solange wir hier sind, habe ich noch niemanden sagen hören, die Hippae, die Hunde und… und sonst ein Tier auf Gras seien mehr als eben ein Tier.«
Bruder Mainoa zuckte die Achseln. »Denken Sie einmal darüber nach, Vater. Gnädige Frau. Ich tue es jedenfalls. Es ist eine interessante Übung und führt zu faszinierenden Weiterungen.«
Sie aßen zu Mittag, wobei sie sich die Rationen der Brüder und das Paket teilten, das Marjorie mitgebracht hatte. Dann setzten sie die Exkursion fort, gingen andere Straßen entlang und schauten in andere Räume. Sie sahen Artefakte. Sie sahen Bücher, unzählige Bücher, deren Seiten mit kurvenförmigen Zeilen bedruckt waren. Dann kamen sie wieder an dem Ding auf dem Podest vorbei, der mutmaßlichen Maschine, deren Darstellung mindestens eine Tür zierte, und betrachteten andere Objekte, die vielleicht Maschinen waren oder auch nicht.
Mittlerweile fiel das Licht schon schräg in die Gräben, so daß sie Schatten warfen. »Bruder, würden Sie vielleicht nach Opal Hill kommen, um sich einmal mit meinem Mann zu unterhalten?« fragte Marjorie mit einem Schauder. »Er ist Roderigo Yrarier, der Botschafter von Heiligkeit.«
Plötzlich kam Leben in Bruder Lourai. »Ich kenne ihn doch!« rief er aus. »Er ist nach Heiligkeit gekommen. Der Hierarch war sein Onkel. Wir haben über die Pest gesprochen. Der Hierarch sagte, er müsse gehen – das heißt, hierher kommen –, wegen der Pferde.«
Tony drehte sich mit offenem Mund um. Er traute seinen Ohren nicht.
Bruder Mainoa richtete den Blick auf Marjorie und streckte den Arm nach ihr aus. »Mein junger Kollege war indiskret. Die Akzeptable Doktrin leugnet nämlich die Existenz der Pest.«
»Mutter?«
»Moment, Tony.« Sie bekam sich wieder in die Gewalt. Da wußte er also nun Bescheid. Besser er als Stella. Sie wandte sich der ihr am nächsten stehenden Person zu, Rillibee. »Bruder, was wissen Sie über die Pest?«
Rillibee schauderte; er brachte kein Wort heraus. »Laß mich sterben«, schrie der Papagei von einer eingestürzten Mauer und schlug mit den grauen Schwingen.
»Der Junge hat seine ganze Familie an der Pest sterben sehen«, erklärte Mainoa hastig. »Fragen Sie ihn nicht. Verfolgen Sie lieber diesen Gedanken weiter: überall sonst sind die Arbai eines langsamen Todes gestorben. Hier sind sie meines Wissens schnell gestorben. Ich weiß, daß überall Menschen sterben, ohne Aussicht auf Heilung. Und daß Heiligkeit alles dementiert.«
Ihr Unterkiefer klappte herunter. Wollte er damit sagen, daß die Pest früher schon aufgetreten war? »Ist die Pest auch hier auf Gras aufgetreten?«
»In der Abtei ist bisher niemand daran erkrankt. Was möchten Sie sonst noch wissen?«
»Wie viele Menschen sind auf Gras schon daran gestorben?«
Er hob die Schultern. »Die Dunkelziffer ist schwer zu bestimmen. Heiligkeit sagt, es gäbe keine Pest. Nicht mehr. Und weil sie alles bestreiten, teilen sie uns auch keine Todesfälle mit. Und weil es jetzt angeblich keine Pest gibt, hält Heiligkeit es für angebracht, auch gleich die ganze Historie dieser Seuche zu bestreiten. Die Akzeptable
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