Monströse Welten 1: Gras
keine Vorschriften machen läßt.«
Vater Sandoval nickte zustimmend. »Das ist sicher ratsam.« Er kannte Stella schon seit ihrer Kindheit. Sie hatte ihm eine Reihe von Sünden gebeichtet – in der Regel höchst dramatisch inszeniert, wobei sie aber diejenigen, die wirklich schwer wogen, unterschlug. Meistens handelte es sich um Wut. Wut auf Marjorie, weil sie ihr nicht dieses Dingsda gegeben hatte, was Stella schon immer haben wollte. Nach langer Überlegung und Meditation war Vater Sandoval schließlich zu der Erkenntnis gelangt, daß es sich vielleicht um das gleiche handelte, was auch Rigo sich wünschte – Nähe. Obwohl keiner von beiden sich genügend darum bemühte. Sie wollten eine richtige Familie sein, aber sie wollten es auf ›Knopfdruck‹, wie einen Wasserhahn, den man je nach Bedarf auf- und zudrehte. »Hilf mir jetzt, gib mir jetzt, tröste mich jetzt. Und wenn du mir dann entsprochen hast, hau ab!«
Erneut seufzte Vater Sandoval, wobei er sich wünschte, daß er über die Jahre Stella und ihren Vater besser kennengelernt hätte. Stella würde natürlich irgendwann heiraten und dann zu Gehorsam gegenüber ihrem Mann verpflichtet werden, wie sie nun ihren Eltern Gehorsam schuldete. Aber was sollte mit Rigo werden? Sowohl er als auch Stella waren zu ungeduldig für beharrliches Werben. Entweder wollten sie es sofort oder überhaupt nicht. Sie würden um nichts bitten. Sie würden es sich einfach nehmen. Auch Dinge, die sie eigentlich gar nicht hätten anrühren dürfen.
Ohne etwas von Vater Sandovals Überlegungen zu ahnen, befand sich Stella bereits über fünf Stunden en bloc im Simulator: mit glänzenden Augen und kerzengerader Haltung; die Trance, in der sie sich befand, schaltete jegliches Gefühl von Hunger und Durst aus. Ihr Vater hatte das Training auf der Maschine schon vor mehreren Stunden beendet. Hector Paine war auch gegangen. Sie war völlig ungestört im Winterquartier. Sie hatte den Mechanismus auf sieben Stunden eingestellt, zwei Stunden länger als ihre bisherigen Übungen, und sich auf die Maschine geschwungen. Es gab keine Möglichkeit, die Maschine anzuhalten, wenn sie erst einmal lief; man konnte sich höchstens vom Bock fallen lassen.
Auf den sie umgebenden Bildschirmen huschte das Grasland vorbei. Geräte zu ihrer Seite simulierten die Bewegungen der Knochenblätter, die Hut und Mantel touchierten. Die Maschine ruckte und bockte, immer leicht aus dem Rhythmus, so daß sie sich nicht entspannen konnte. Der Körper blieb wachsam, aber das Gehirn stellte seine Tätigkeit bald ein und ging in den ›Leerlauf‹. Stella befand sich nun in einem Zustand der Trance und träumte von Sylvan bon Damfels.
Beim Empfang auf Opal Hill hatte sie ihn beobachtet, während er mit Marjorie tanzte und ihn mit ihren Blicken verschlungen. Als sie mit ihm getanzt hatte, hatte sie ihn durch die Haut in sich aufgesogen und sein Bild in sich aufgenommen, so daß es nun unauslöschlich in ihr verankert war, das Paradigma eines wahren Mannes. Und seitdem hatte sie ihn immer wieder ausgezogen und von ihm Besitz ergriffen und all die Dinge mit ihm angestellt, die sie bisher nicht praktiziert hatte; nicht etwa, weil sie moralische Bedenken gehabt hätte, sondern weil sie noch niemanden gefunden hatte, der ihrer würdig schien. Nun hatte sie ihn gefunden. Sylvan war ihrer würdig. Sylvan war edel. Sylvan war ein Mann, dessen Gefährtin sie sein wollte. Nein! Dessen Gefährtin sie sein würde. Bald würde es soweit sein. Wenn sie zum erstenmal zusammen ausritten, Seite an Seite.
Sie verdrängte, was er bezüglich des Reitens zu Marjorie gesagt hatte, verdrängte seinen Rat an die Yrariers. Es fügte sich nicht in das Bild, das sie sich von ihm gemacht hatte; also wischte sie die störenden Aspekte einfach beiseite und formte ihn neu nach ihren Vorstellungen – der Gospel des heiligen Sylvan, nach Stella, seiner Schöpferin.
Die Maschine galoppierte weiter, tauchte in den Federn ein und wurde von den Hebeln wieder nach oben gerissen, das Donnern der Hufe drang gedämpft aus den Lautsprechern, das bunte Grasland zog sich endlos zu beiden Seiten hin, leise zischend schlugen die Klingen nach ihr.
In einem entfernten Winkel ihres Bewußtseins berichtete sie Elaine Brouer alles über Sylvan, über ihre Begegnung, wie ihre Blicke sich getroffen hatten. ›Seit diesem Augenblick liebte er mich. Seit diesem Augenblick liebte er mich so, wie er noch niemanden geliebt hatte.‹
Sylvan sagte sich ungefähr
Weitere Kostenlose Bücher