Monströse Welten 1: Gras
es…«
»Wie viele Städte haben Sie schon gesehen?« fragte Marjorie.
Erneut stieß Bruder Mainoa ein glucksendes Lachen aus. »Diese hier, Lady. Nur diese. Aber ich habe Bilder von allen gesehen. Und Kopien von Berichten, die denjenigen von uns zugänglich gemacht wurden, die hier arbeiten; in der Hoffnung, daß ein hier erfolgter Fund vielleicht einen Fund an einem anderen Ort erklärt. Vergebliche Hoffnung. Und dennoch machen wir weiter.«
»Überall das gleiche. Und alle Bewohner sind tot«, sagte Tony.
»Vielleicht. Oder sie sind woanders hingegangen.«
Sie liefen über etwas, das vielleicht ein Marktplatz, ein Versammlungsplatz oder gar ein Spielplatz gewesen war. Im Zentrum befand sich das von Bruder Mainoa erwähnte Podium. Auf einem Sockel aus exotischem Material krümmte sich eine Struktur und lief in sich selbst zurück, wobei das ganze eine Möbiusschleife ergab, durch die selbst ein hochgewachsener Mensch spazieren konnte. Tony klopfte mit dem Knöchel dagegen und hörte einen vibrierenden Klang.
Metall. Aber es sah nicht aus wie Metall. Die Kanten waren zerklüftet, als ob irgendwelche Klauen einen Abdruck in dem Material hinterlassen hätten. Das gleiche Design schmückte auch die Kanten des Podiums. Auf der offenen Fläche markierten Wimpel die Stellen, an denen man Leichen gefunden hatte, unter freiem Himmel niedergemetzelt. Die Körper waren nun abgedeckt, um sie später zu untersuchen. Ein Wimpel befand sich innerhalb der schleifenförmigen Struktur, einige andere neben dem Podium, als ob eine Versammlung unterbrochen worden wäre. »Woran sind diese Leute gestorben?« fragte Tony.
»Füchse, sagen manche. Ich glaube es aber nicht.«
»Weshalb nicht?« fragte Vater James neugierig; die Fremdartigkeit dieses Ortes hatte ihn aus seiner gewohnten Schweigsamkeit gerissen.
Bruder Mainoa sah sich um, wobei er Bruder Lourai aber ignorierte. Er hielt Ausschau nach anderen, die sich vielleicht in Hörweite befanden. Heute waren zwar keine Arbeiter zugange, aber ab und zu kam ein Bruder vorbei, um ihn mit Lebensmitteln zu versorgen und die aktuellen Kopien der Arbai-Bücher abzuliefern. Manche von ihnen waren unzweifelhaft Spione der Doktrin.
Als er sich davon überzeugt hatte, daß niemand lauschte, sagte Mainoa: »Wir Grünen Brüder leben schon seit vielen Jahren hier, junger Herr. Viele Jahre. Viele Gras- Jahre. Wir haben hier überwintert, zusammengepfercht wie Ölsardinen in der Büchse. In dieser ganzen Zeit ist noch niemand von uns von den Füchsen angegriffen worden.« In seiner Stimme schwang mehr als nur Überzeugung mit. Es war Gewißheit.
»Aha«, sagte Marjorie. »So ist das also.«
Der Bruder nickte und schaute ihr in die Augen. »Ja, Lady Westriding. So ist das.«
»Sie meinen doch wohl nicht die Hippae?« fragte Tony voller Abscheu.
»Tony!« rief Marjorie. »Laß ihn ausreden.«
»Ich habe nichts mehr zu sagen.« Bruder Mainoa schüttelte den Kopf. »Nicht das geringste. Ich möchte Sie nicht erschrecken, junger Herr.«
»Mich dürfen Sie ruhig erschrecken«, sagte Marjorie.
Der Blick, den er Tony zuwarf, sprach Bände. Dann wandte er sich an Marjorie. Der Junge errötete.
»Gut, Madam, dann sage ich Ihnen folgendes: Betrachten Sie diese armen Wesen, die nun schon so lange tot sind. Schauen Sie sich ihre Wunden an. Und dann schauen Sie sich die Aristokraten an, die nicht mehr auf die Jagd gehen. Betrachten Sie ihre Prothesen. Und dann sagen Sie mir, ob die Entitäten, die das eine getan haben, nicht auch das andere getan haben.«
»Aber die Hippae sind doch Pflanzenfresser«, wandte Tony ein und dachte dabei an seinen Vater. »Große Pflanzenfresser. Weshalb sollten sie…«
»Wer weiß denn, was die Hippae wirklich sind und was sie treiben?« fragte Bruder Mainoa. »Sie kommen nur in unsere Nähe, um uns zu beobachten. Und wenn sie uns beobachten…«
»…sehen wir Verachtung«, sagte Marjorie so leise, daß Tony nicht wußte, ob er richtig gehört hatte. »Wir sehen Bosheit.«
»Bosheit«, bestätigte Bruder Mainoa. »Und das ist noch das wenigste.«
»Oh, kommen Sie«, sagte Vater Sandoval zweifelnd, fast ärgerlich. »Bosheit, Marjorie?«
»Ich habe es gesehen«, sagte sie und legte den Arm um Tonys schmale Schultern. »Ich habe es gesehen, Vater. Ein Irrtum ist ausgeschlossen.« Sie beantwortete seinen grimmigen Blick ebenfalls mit einem düsteren Gesichtsausdruck. Vater Sandoval hatte immer die spirituelle Überlegenheit des Menschen vertreten. Die
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