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Monströse Welten 1: Gras

Monströse Welten 1: Gras

Titel: Monströse Welten 1: Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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eine Nachricht für die Bediensteten.
    ›Wenn ich bis Anbruch der Dunkelheit nicht zurück bin‹, hieß es dort, ›aber erst dann, sagen Sie meinem Mann oder meinem Sohn, daß sie mit dem Gleiter nach mir suchen sollen. Ich trage einen Sender bei mir, so daß ich leicht zu finden bin.‹ Den Sender befestigte sie am Bein unter der Hose. Eine heftige Erschütterung würde ihn aktivieren. Wenn sie zum Beispiel vom Pferd fiel. Oder wenn sie mit der Faust draufschlug. Außerdem hatte sie ein Aufzeichnungsgerät von der Art bei sich, wie die Kartographen es benutzten; es würde als zusätzlicher Peilsender dienen. Weiterhin war sie mit einem Lasermesser ausgerüstet, um sich im Bedarfsfall einen Weg durch hohes Gras zu bahnen. Sie zeigte dem Stallburschen die Ausrüstung und erklärte ihm, wozu sie diente. Sie vermied es, den Eindruck zu erwecken, als ob sie nicht zurückkommen wollte. Sie ging ein Risiko ein, mehr nicht. Und wenn ihr tatsächlich etwas zustoßen sollte, dann löste das Rigos Problem. Und das von Stella. Und ihr eigenes. Den Gedanken an Tony verdrängte sie in diesem Augenblick.
    Quixote tänzelte, wobei ein Zittern durch den Körper lief. Es waren nicht die Nerven. Es ging tiefer. Es war eine Aufwallung, die Marjorie bisher fremd gewesen war, und sie stand lange da, streichelte ihm die Beine, sprach zu ihm und fragte sich, was ihn wohl in diesen Zustand versetzt hatte. Er neigte sich zu ihr hin, als ob er sich anlehnen wollte, doch als sie ihn bestieg, trabte er ins Grasland hinaus, als ob es ein ganz gewöhnlicher Ritt sei. Damit signalisierte er ihr, daß er ihr vertraute. Obwohl es ihn vielleicht das Leben kostete, vertraute er ihr. Es gelang ihm indes nicht, das nervöse Zittern zu unterdrücken, und nachdem sie schon ein Stück zurückgelegt hatten, kam die Botschaft schließlich bei ihr an. Schamröte schoß ihr ins Gesicht; sie hatte etwas von ihm verlangt, wogegen er sich mit jeder Faser seines Seins sträubte. Sie streichelte ihn und sprach sich selbst Mut zu. »Vater James sagt, Gott hätte uns als Viren erschaffen, aber ich glaube dennoch, daß ein Virus einen anderen lieben oder zum Freund haben kann. Ich lasse dich nicht in eine Falle laufen, mein Freund. Darauf kannst du dich verlassen.« Und was ist mit mir, fragte sie sich. Soll ich mich etwa in Gefahr begeben?
    Selbstmord war verpönt, aber einem Märtyrer winkte großer Ruhm. Wenn sie sich selbst umbrachte, würde Gott überhaupt Notiz davon nehmen? Wenn das, was Vater James gesagt hatte, der Wahrheit entsprach, dann wußte Gott vermutlich nicht einmal, welche Viren daran beteiligt waren, Seine Arbeit zu tun. Für Gott war sie nur eine namenlose Entität. Sie besaß keine Individualität. Wenn sie sich selbst tötete, würde Er es überhaupt erfahren? War es denn wichtig, ob Er es wußte? Als Er sie erschaffen hatte, hatte Er da auch einen Mechanismus erschaffen, um ihre Seele zu retten? Hatten Viren überhaupt eine Seele?
    Man hatte sie gelehrt, daß es falsch sei, sich selbst das Leben zu nehmen. Sie hatte kein gutes Gefühl dabei, vorsätzlich in den Tod zu gehen. Dennoch konnte sie ein kalkuliertes Risiko eingehen. Wenn sie wirklich sterben sollte, dann war es ein Unfall, und Don Quixote würde überleben. Er war schnell wie der Wind. Ohne einen Reiter auf dem Rücken würde er selbst dem Teufel davonlaufen. Das waren ihre Überlegungen, bis sie schließlich fast ihre ganze Energie darauf verwandte, diese Gedanken zu verdrängen. Unwillkürlich fragte sie sich, wie Rigo wohl reagieren würde, wenn sie nicht zurückkehrte. ›Diese Närrin‹, würde er sagen. ›Diese dumme Frau, die mich nie so geliebt hat, wie es ihre Pflicht gewesen wäre.‹
    Dabei liebte sie ihn doch. Zumindest bemühte sie sich. Sie wollte ihn und Stella lieben, mit einer schmerzlichen Sehnsucht, die aus ihr hinausströmte, bis sie schließlich völlig erschöpft war. Sie hatte zu Hause schon von Eugenie gewußt, und auch von der anderen vor Eugenie, aber wenigstens waren sie nicht in der Nähe gewesen. Zu Hause hatte Stella ihre Freunde und ihr Vergnügen. Hier schlugen Stella und Eugenie nach ihr wie große, gefangene Vögel und pickten an ihr. Ihre Frustration traf sie wie Hammerschläge. Sie hatte nicht damit gerechnet, sich einmal so schwach und erschöpft zu fühlen, daß sie ständig den Hauch des Todes spürte. Mit jedem Tag auf Gras waren ihre Kräfte ein Stück geschwunden. In letzter Zeit hatte sie gar keine Hoffnung mehr, sie, die früher jede

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