Monströse Welten 1: Gras
Enttäuschung mit einem kindlichen Optimismus bewältigt hatte, an den sie sich nun kaum noch erinnerte.
Sie ritt an der kleinen Arena vorbei, wo die Pferde ausgebildet wurden; der Ort befand sich direkt an der Grenze von Opal Hill, obwohl er aufgrund der Topographie weiter entfernt schien. Nun überschritt Marjorie zum erstenmal die Grenzen des kleinen Gebiets, das von jenen, welche die Definitionsmacht besaßen, als ›Estancia‹ bezeichnet wurde. Die Wege, die von den Gärten überschaut wurden, lagen hinter ihr. Sie betrat nun das Grasland, den eigentlichen Planeten, zu dem die Menschen, ihre Technik und ihre Tiere keinen Zutritt hatten. Sie ritt mit nach vorne gerichtetem Blick weiter; falls sie die Hippae hier draußen fand, würde sie entweder etwas über sie in Erfahrung bringen oder von ihnen getötet werden. Sie war jedoch so unglücklich, daß es ihr im Moment gleich war, welche Option sich verwirklichte.
Als das Heulen einsetzte, lief ein Zittern durch Don Quixote. Er stellte die Ohren auf und ging keinen Schritt weiter. Marjorie saß reglos im Sattel und atmete flach; sie erkannte, daß das Heulen von hinten gekommen war. In diesem Augenblick erinnerte sie sich an Janetta bon Maukerden und begriff, daß die Hippae, falls sie sie aufspürten, vielleicht noch etwas anderes mit ihr machten, als sie ›nur‹ zu töten. Den Tod hatte sie einkalkuliert. Allerdings nicht die Alternativen, die möglicherweise aus ihrem Verhalten resultierten, und plötzlich empfand sie gleichermaßen Scham wie Schrecken.
Sie waren einer Art Spur gefolgt, einem gewundenen Kurzgras-Pfad, der sich durch höhere Gräser zog. Nun dirigierte sie Don Quixote von diesem leichten Pfad ins hohe Gras und saß ab, um ihre Spur mit Gräsern zu tarnen.
»Sie werden dich riechen«, sagte sie zu sich selbst und versuchte, durch langsame und bedächtige Bewegungen die Ruhe zu bewahren. Der Wind trug das Heulen zu ihr. Dieses Hippae würde jedenfalls keine Witterung von ihr aufnehmen. Aber vielleicht ein anderes. Sie sollte am besten umkehren. Überwältigt von der Dummheit ihrer Handlungsweise erkannte sie, daß eine Umkehr das einzig Sinnvolle wäre.
Sie öffnete das Aufzeichnungsgerät und behielt es im Auge, während sie den Hengst in einer engen Kurve herumnahm und den Rückweg zur Botschaft einschlug. Sie hielt sich noch immer im hohen Gras verborgen und ritt nun auf den Verursacher des Geräuschs zu. Das Pferd legte nur eine kurze Strecke zurück und blieb dann stehen. Erneut ertönte das Geheul zwischen ihnen und der Botschaft. Es war ziemlich nahe.
Das Pferd machte kehrt und trabte auf seiner eigenen Spur zurück. Als Marjorie den Hengst führen wollte, ignorierte er sie. Nach einem kurzen Anflug von Panik beruhigte sie sich und überließ es ihm, den Rückweg zu finden. Er mußte etwas wissen, das sie nicht wußte. Er roch etwas, das sie nicht roch. Fühlte etwas, das sie nicht fühlte. Sie saß ruhig im Sattel, um ihn nicht nervös zu machen, und wollte ein Gebet sprechen, wobei ihr die Worte jedoch nicht mehr einfielen, die sie als Kind gelernt hatte. Überhaupt wären diese Worte jetzt auch unpassend gewesen. Wie konnte sie sich grämen, gegen Gottes Gebote verstoßen zu haben, wo sie doch getreulich nach seinem Willen handelte!
Der Hengst bewältigte Hügel um Hügel, hielt sich auf den Kämmen, immer im Trab, nie im Galopp, mit gespitzten Ohren, als ob jemand seinen Namen flüsterte. Als er dann das Tempo verringerte, war das anscheinend eine Reaktion auf andere Geräusche vor ihnen. Schließlich blieb er stehen und legte sich hin, ohne von Marjorie dazu aufgefordert worden zu sein. Sie zog das Bein unter seinem Körper hervor, stand auf und starrte ihn an. Er preßte sich flach auf den Boden, mit gespitzten Ohren, und betrachtete sie.
»In Ordnung«, flüsterte sie. »Und was nun?«
Er gab keinen Laut von sich, aber er zitterte, als ob er von Mücken attackiert würde. Gefahr. Sie waren umzingelt.
Marjorie spürte es, erkannte es an den Reaktionen des Pferdes, roch es. Der Recorder meldete, daß sie die von Sebastian angegebene grobe Richtung eingeschlagen hatten. Als dann eine Lautfolge ertönte, nicht laut, aber anhaltend, drehte Don Quixote den Kopf und suchte nach dem Ursprung dieser Geräusche. Es war nicht das wuchtige Donnern der letzten Nacht, sondern eher eine modulierte Serie von Stöhnlauten und Schreien. Quixote verengte die Nüstern und zuckte zusammen, als ob er einen heftigen Juckreiz verspürt hätte.
Weitere Kostenlose Bücher