Monströse Welten 1: Gras
voraussetzte. Sylvan betrat den Raum; er trug keine Jagdmontur.
»Gehen Sie heute denn nicht auf die Jagd, Sir?« fragte Tony unschuldig, wobei er zwei und zwei zusammenzählte, aber nicht wußte, wie er das Ergebnis bewerten sollte.
»Eine leichte Magenverstimmung«, erwiderte Sylvan. »Heute lastet die Verantwortung auf Shevlok und Vater.«
»Ihre Schwestern nehmen auch nicht an der Jagd teil«, murmelte Marjorie.
»Sie haben Vater gesagt, sie seien schwanger«, murmelte er eine Antwort, fast schon flüsternd. »Was Emeraude betrifft, so trifft es vielleicht auch zu. Bei Frauen ihres Alters erwartet man nicht, daß sie so oft an der Jagd teilnehmen wie die Männer. Vater trägt dem Rechnung.«
»Hat er…«
»Nein. Nein, es hat nicht den Anschein… es hat nicht den Anschein, daß er die Obermum vermißt. Er scheint nicht einmal zu wissen, daß sie verschwunden ist.«
»Haben Sie schon etwas von ihr gehört?«
»Sie erholt sich wieder.« Er wandte sich ab und schaute auf die bogenförmige Öffnung, hinter der sich der samtige Rasen erstreckte. Der Unterkiefer klappte ihm herunter, und die Augen weiteten sich vor Schreck. »Bei allen Hunden, Marjorie. Ist das etwa Rigo?«
»Ja, das ist Rigo. Er glaubt es tun zu müssen«, sagte sie.
»Ich habe Sie alle gewarnt!« sagte er mit krächzender Stimme. »Mein Gott. Ich habe ihn gewarnt.«
Marjorie nickte, wobei sie versuchte, die Fassade aus kühler Gleichgültigkeit aufrechtzuerhalten. »Rigo hört nicht auf Warnungen. Ich weiß nicht, ob er überhaupt auf irgend etwas hört.« Sie nahm sich eine Tasse heißen Tee vom Tablett, das einer der Diener ihr reichte und wollte das Thema wechseln. »Haben Sie Stella gesehen?«
Sylvan schaute sich um und schüttelte den Kopf. Weil der Raum ziemlich belebt war, entschuldigte er sich bei Marjorie und suchte die Peripherie ab.
»Wenn du das Mädchen suchst«, murmelte Emeraude, »sie ist zum Gleiter zurückgegangen.«
Sylvan meldete das Marjorie, die vermutete, daß Stella etwas vergessen hatte und es nun holte. Die Glocke ertönte. Die Mägde in ihren Reifröcken huschten ins Haus. Das Hundetor öffnete sich. Die Hunde marschierten in Zweierreihen ein und musterten die Reiter mit roten Augen.
Marjorie atmete tief durch. Rigo war der ›Links-außen‹ der Gruppe. Als die Reiter kehrtmachten und den Hunden durch das Tor folgten, bildete er die Nachhut.
Zusammen mit einem Nachzügler, der um die Hausecke auf die Erste Fläche rannte, wobei er es vermied, nach oben zu schauen, und Rigo durch das Hundetor folgte.
Ein Mädchen, stellte Marjorie fest und fragte sich im selben Atemzug, weshalb Stella nicht wiedergekommen war.
Ein Mädchen!
Da war etwas im Gang, der Körperhaltung. Die Kleidung, der Schnitt des Mantels…
Nein, das war unmöglich.
»War das nicht Ihre Tochter?« fragte Emeraude und warf Marjorie einen seltsamen, wilden Blick zu. »War das nicht Ihre Tochter?«
Hinter dem Tor ertönte Hufgetrappel.
Als Sylvan nach einem Sprint das Tor erreichte, war niemand mehr da. Die Reiter waren aufgesessen und losgeritten.
Stella hatte eigentlich erwartet, Sylvan unter den Reitern zu finden. Obwohl sie das Prozedere der Jagd sowohl vom Hörensagen als auch aus eigener Anschauung kannte, hatte sie außerdem erwartet, er würde eine Möglichkeit finden, daß sie nebeneinander ritten. Doch diese Überlegungen waren in dem Moment vergessen, als sie sich auf den Rücken des Reittiers schwang, das vor ihr auftauchte. Vor der Ankunft bei den bon Damfels’ hatte sie noch befürchtet, daß kein Reittier mehr für sie übrig sei. Daß eins auf sie warten würde, hätte sie indes nicht gedacht. Nach dem, was man ihr während der Beobachtung der Jagd erzählt hatte, deutete nämlich alles darauf hin, daß auf jeden Jäger genau ein Reittier kam. Wenn jemand sich im letzten Augenblick entschied, doch nicht mitzureiten, erschien auch kein Reittier vor dem Tor. Weil es zu ihrem Plan gehörte, erst dann den Garten zu betreten, wenn die Hunde das Defilee beendet hatten, konnte sie auch von niemandem abgefangen werden. Sie erreichte das Tor in dem Moment, als ihr Vater gerade aufsaß, und dann, wobei sie es mehr spürte als sah, erschien ein Reittier vor ihr und streckte ein massives Bein aus. Im Simulator hatte sie den Bewegungsablauf so oft trainiert, daß er nun automatisch ablief.
Bis zu diesem Augenblick war alles viel zu schnell geschehen, als daß sie die Sache überdenken und ihre Meinung vielleicht noch hätte
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