Monströse Welten 2: Hobbs Land
braucht ihr auch nicht zu gefallen. Es steht in meinem Ermessen, Mama, und mir reicht es jetzt.«
Betrübt schüttelte sie den Kopf. »Wie die Kinder«, sagte sie. »Daß erwachsene Menschen sich noch wie Kinder aufführen müssen. Und nun wirst du auch noch zum Abendessen im Bruderhaus zu spät kommen. Slagney sagte, er würde diese Woche kochen. Du solltest das Essen nicht kalt werden lassen.«
»Unsinn!« knurrte er. »Jetzt bin ich bei dir zu Besuch. Ich kann das Essen später immer noch aufwärmen; aber vielleicht hält Slagney es auch für mich warm.«
Er machte es sich bequem und richtete sich offensichtlich auf einen längeren Aufenthalt ein. Elitia Kruss lag im Sterben. Sie wußte es, und die Familie wußte es auch. Wenn irgendeine Aussicht auf Heilung bestanden hätte, hätte man sie im Krankenhaus der Zentralverwaltung behalten. Weil eine solche Aussicht aber nicht bestand, war sie ins die Pflegeheim der Siedlung zurückgeschickt worden, um zu Hause zu sterben. Diese Einrichtung war zwar nur für die spezifischen Verletzungen, die bei der Feldarbeit auftraten, konzipiert, aber das Pflegepersonal war hervorragend ausgebildet. Harribon sagte sich, wie groß das Wissen der Menschheit über Krankheiten und Verletzungen auch war, es traten immer wieder neue Fälle auf, die man nicht behandeln konnte. Man war imstande, Hände, Füße und sogar ganze Arme und Beine zu züchten. Kranke Organe wurden durch geklonte ersetzt. Genetische Defekte wurden durch die Injektion einer neuen DNA behoben. Aber bei dieser seltenen Krebs-Pilz-Erkrankung waren die Mediziner mit ihrem Latein am Ende. Im gesamten System waren nicht einmal hundert Fälle aufgetreten, und ausgerechnet Momma war einer davon. Man wußte nicht einmal, wie diese Krankheit übertragen wurde, ob es sich überhaupt um eine Infektionskrankheit handelte oder ob sie eine genetische Ursache hatte, die bislang nicht entdeckt worden war. Die Bezeichnung ›Geisterkrankheit‹ war symptomatisch für die Ratlosigkeit der Ärzte. Die Genmanipulationen, die sich bei tausend anderen Krankheiten als hilfreich erwiesen hatten, versagten in diesem Fall. Trotz der enormen Fortschritte der Medizin kamen auch heute manche Menschen noch nicht in den Genuß der ihnen zugeteilten Lebensdauer.
Sie unterhielten sich noch eine Weile; sie war voll präsent, und er wollte keinen Augenblick verpassen. Als sie plötzlich mitten im Satz einschlief, verließ er den Raum und ging zum Bruderhaus. Sein jüngerer Bruder Slagney hatte nicht mit dem Essen auf ihn gewartet, aber er hatte einen Teller zum Warmhalten in den Herd gestellt. Dadurch war das Essen auch nicht besser geworden; um die Gedanken an Momma zu verdrängen, beschäftigte Harribon sich mit dem Problem des Neids.
Die Siedlung Eins, die schon lange einen Stachel im Fleisch der anderen Siedlungen auf Hobbs Land darstellte, war nun zu einer schwärenden Wunde geworden. Die Kinder sprachen sogar schon davon. Nach dem letzten Wettbewerb mit Siedlung Eins hatte es in den unterlegenen Teams gegärt. Es wurden Stimmen laut, die behaupteten, die Siedlung Eins würde falschspielen und müsse deshalb von den Spielen ausgeschlossen werden. Dracun Soames hatte das von ihrem Sohn Vernor gehört. Verschärft wurde die Sache dadurch, daß dieses Gerücht von Drohungen Jamels und Vernors’ übrigen Onkels begleitet wurde. Sie würden verdammt fair spielen, sagten sie, wobei sie sich anscheinend nicht an der Tatsache störten, daß sie selbst dafür berüchtigt waren, mit miesen Tricks zu arbeiten. Fair Play war nun wirklich nicht ihr Anliegen. Seit die Soames’ sich in der Siedlung Drei niedergelassen hatten, waren zwei Morde zu verzeichnen gewesen. Die Opfer hatten eine Auseinandersetzung mit Jamel gehabt und waren dann von hinten niedergeschlagen worden. Harribon hatte in beiden Fällen Jamel in Verdacht gehabt, war jedoch nicht in der Lage gewesen, ihm die Morde nachzuweisen.
Am frühen Morgen, vor dem Beginn der Krawalle, hatte Harribon sich eine Statistik mit den Ergebnissen aller Sportwettkämpfe ausdrucken lassen, die bisher zwischen den Siedlungen ausgetragen worden waren. Erst jetzt hatte er jedoch die Gelegenheit, sich mit ihnen zu befassen. Er fuhr mit dem Daumen die Zeilen entlang und addierte im Kopf die Punktzahlen. Siedlung Eins hatte ungefähr die Hälfte der Spiele gewonnen, meistens nur mit knappem Vorsprung. Diese Position hatten sie im Lauf der Jahre gehalten. In den zweiunddreißig Jahren des Bestehens von Hobbs
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