Monströse Welten 2: Hobbs Land
wirkte, und als sie schließlich die Siedlung erreichten, war es Nacht.
An Samstags Haus angekommen, wollte Jep sie erneut küssen, um zu sehen, ob das, was geschehen war, sich wiederholte. Was auch immer es gewesen war, es war noch da und blieb auch da, als sie sich küßten, und sie küßten sich oft; ihre Umarmungen drückten freudiges Staunen und unverhohlene Vorfreude aus.
Als Samstag das Schwesternhaus betrat und Africa die leicht geschwollenen Lippen und glühenden Augen ihrer Tochter sah, wandte sie sich mit einer Mischung aus Wehmut, Kummer und mütterlicher Sorge ab. Wie alt war sie gewesen, als sie ihren ersten – richtigen – Kuß bekommen hatte? Dreizehn? Auf jeden Fall in Samstags Alter. Es war in einer Ecke des Fuhrparks passiert, hinter einem großen Lastwagen. Africa hatte noch immer den Geruch des Schmierfetts in der Nase und spürte noch immer die harte Kante im Rücken, gegen die sie gedrückt worden war. Wer war es gewesen? Er lebte nicht mehr in der Siedlung. Der Name lag ihr auf der Zunge. Es war jemand, der fortgezogen war.
»Wie war das Creely- Fischen?« fragte sie. »Zeig mal, was du gefangen hast.«
Samstag stellte den Sack auf den Küchentisch und lachte beim Anblick der vielen zappelnden Beine, lachte vor schierer Lust am Leben.
Africa betrachtete ihre Tochter, wie sie sprießendes Korn betrachtet hätte, teils mit Besorgnis, teils mit Stolz. Die Ernte war bedroht, aber es bestand auch die Hoffnung auf eine gute Ernte. Ein Name tauchte in ihrer Erinnerung auf. Osmer. Gard Osmer. Der Junge hatte nach Salz gerochen, nach Äpfeln und Heu. Er hatte sie geküßt und ihr mit strahlenden Augen süße, unanständige Sachen gesagt. Sie waren Hand in Hand spazierengegangen. Seine Familie war auf Hobbs Land nie heimisch geworden. Nein, verbesserte sie sich. Es war Gards Vater gewesen, der sich hier nicht wohl gefühlt hatte. Er hatte darauf bestanden, daß sie die angesammelten Landgutscheine zurückgaben und nach Pedaria zogen. Africa war damals vierzehn gewesen. Die darauffolgenden Monate war sie nur noch ein Häufchen Elend gewesen. Und dann war Spiggy aufgetaucht und hatte sie wieder auf andere Gedanken gebracht; er war zusammen mit Africa im Ferienlager gewesen. Er sagte ihr, daß er ein Kind von ihr wolle und daß sie Verwaltungswissenschaften studieren solle. Dann hatte er ihr den Karrierestart ermöglicht. Er war nur ein paar Jahre älter, hatte aber viel mehr Lebenserfahrung als sie. Als ›Apfelsüß‹ hatte Spiggy ihre kindliche Romanze bezeichnet. ›Apfeltage‹, hatte er gesagt. Apfeltage mit Gard. Und Apfeltage mit Spiggy. Fünf Kinder seitdem, drei Jungen und zwei Mädchen; aber nur Samstag, die Älteste, beschwor so viele Erinnerungen in ihr herauf.
»Dann hattest du also einen guten Tag«, sagte sie sanft zu ihrem Kind und dachte dabei an Gard, an Spiggy, an die Apfeltage.
»O ja«, rief Samstag. »O ja, es war ein guter, verrückter, wundervoller Tag. Und nun hör mal, was wir gefunden haben!«
* * *
Erstaunt lauschte China Jeps Geschichte vom Wald mit den riesigen Bäumen. Im ersten Jahrzehnt nach der Gründung der Siedlung war die Flora des Planeten vollständig katalogisiert worden. Sie forderte eine Kopie des Verzeichnisses an, und der gesamte Katalog erschien auf dem Bildschirm, von Moosen und Flechten bis hin zu Bäumen. Aber kein Eintrag von Riesenbäumen, deren Äste von ›Widerlagern‹ abgestützt wurden. Sie beschloß, sich die Sache am nächsten Tag anzusehen.
Später am Abend fragte Jep sie, wie alt sie gewesen war, als sie ihr erstes Liebesabenteuer gehabt hatte. Einerseits war sie dankbar, daß er gewartet hatte, bis seine kleine Schwester im Bett lag und von Liebe anstatt von Sex gesprochen hatte; andererseits hätte sie sich gewünscht, daß er sich mit dem Wissen begnügt hätte, das er in der Schule erworben hatte – zumal der Sexualkundeunterricht ziemlich instruktiv gewesen war –, anstatt sie mit einer solch persönlichen Frage in Verlegenheit zu bringen. Davon, was sie im Alter von zwölf Jahren mit Sam gehabt hatte, wollte sie ihm schon gar nichts erzählen. Sie hatte sich damals in einem Aufruhr der Gefühle befunden, ohne daß sie indes den Eindruck gehabt hätte, ein gleichwertiger Partner oder auch nur Opfer zu sein; vielmehr hatte sie sich in der Rolle einer Beobachterin gesehen.
»Das, was ich als mein erstes Liebesabenteuer bezeichnen würde, hatte ich mit vierzehn«, sagte sie. »Ich war schrecklich verliebt in diesen wunderbaren
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