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Monströse Welten 3: Toleranz

Monströse Welten 3: Toleranz

Titel: Monströse Welten 3: Toleranz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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nicht die Mühe, durch die Halle, den Aufzug, die Geheimtüren und Zugangsrouten hinunter zum Kern zu gehen. Diesmal mußte er nirgendwohin gehen, denn sie kamen zu ihm, nicht als amorphe Schemen, sondern als konturierte Erscheinungen.
    »Deine Beauftragten stellen wieder die Frage«, rief einer und fuchtelte mit den Armen. »Und diejenigen, die bei ihnen sind, verstoßen auch gegen unsere Gebote! Wir sehen sie. Wir hören sie!«
    Andere kreischten, und ein höllisches Heulen drang an seine Ohren. Boarmus unterdrückte die in ihm aufsteigende Übelkeit. Nur wenn er sich zur Ruhe zwang, würde er diese Vorstellung überleben. »Wovon sprecht ihr überhaupt?« fragte er. »Ich verstehe euch nicht, wenn ihr alle durcheinanderquasselt.«
    »Deine Beauftragten sollen keine Fragen stellen«, sagte eine Stimme.
    »Wem sollen sie keine Fragen stellen?« schrie Boarmus.
    Schweigen.
    »Fragen«, sagte die Stimme. »Reden. Wir hörten, wie sie alles mögliche erzählten. In Flachwasser! In Panubi!«
    Boarmus dachte für einen Moment nach und fluchte stumm. »Du meinst, die Leute, die wir nach Panubi geschickt haben, haben sich unterhalten? Sie haben den Leuten aus der Vergangenheit von Woanders erzählt? Ist es das, was du meinst?«
    »Verboten«, keiften die Stimmen.
    Wie viele Stimmen waren es? Er wußte es nicht. Aber nicht so viele, wie es hätten sein müssen. Tausend Personen waren in den Kern gegangen, aber es waren nur ein paar Stimmen. Seit dem letztenmal hatte er das Buch der Biographien ein dutzendmal durchgelesen. Da war diese eine Stimme, die schluckende Stimme, dieser in Blut geschriebene Name; da war die weibliche Stimme, die sich ihm vorgestellt hatte; und mindestens zwei weitere kamen ihm irgendwie bekannt vor.
    »Wieso ist es verboten?« fragte Boarmus, wobei Panik in ihm aufwallte.
    Wieder Schweigen.
    Boarmus schluckte Galle und redete Tacheles. »Ist es wirklich von Belang, wenn sie sich über die Geschichte unterhalten oder Fragen über Woanders stellen? Sie wissen über Brannigan Bescheid. Sie wissen, daß die Komitee-Mitglieder hierher gekommen sind. Das ist Allgemeingut, das an jedem Große-Frage-Tag diskutiert wird. Die Leute wissen aber nichts von der Existenz des Kerns und sie werden es auch nicht erfahren, weil ich der einzige bin, der über den Kern Bescheid weiß, und ich werde es ihnen nicht sagen. Sollen sie doch so viele Fragen stellen, wie sie wollen. Sollen sie doch Geschichten erfinden. Darauf kommt es nicht an!«
    »Verboten«, keifte eine unangenehme Stimme, die von Echos und Resonanzen begleitet wurde. Vielleicht war es das, was die übrigen neunhundertpaarundneunzig inzwischen darstellten, nur noch Echos, nur noch Resonanzen. Und dennoch waren sie gräßlich und furchterregend und verursachten ihm ein extremes Unbehagen. Wieso? Wozu dieser Horror, über den er keine Kontrolle hatte?
    »Wieso?« fragte Boarmus erneut, wobei er versuchte, ruhig zu bleiben und sich an das erinnerte, was er in den Korridoren gelesen und was Chadra Hume ihm gesagt hatte. »Ich verstehe durchaus euer Bedürfnis nach Geheimhaltung. Ihr glaubtet, daß die Leute von Brannigan, die nicht dem Komitee angehörten, eure Anwesenheit vielleicht mißbilligt hätten. Ihr glaubtet, sie würden es als eine Art… Desertion betrachten. Ihr befürchtetet, daß sie euch vor Zorn verfolgen würden. Aber das war damals!«
    Er biß die Zähne zusammen und schluckte. »Das war damals. Heute besteht keine Gefahr mehr! Es gibt keine Bedrohung mehr. Niemand weiß von euch. Mit Ausnahme von ein paar Reimen und Liedern seid ihr alle längst vergessen!«
    Er wußte, daß das falsch gewesen war, kaum daß er den Satz beendet hatte. Gesichter verschmolzen mit den Wänden. Leuchtende, wallende Erscheinungen folgten ihnen und verwandelten sich erneut in Gesichter. Der Vorgang wiederholte sich, wobei die Gesichter so verzerrt waren, daß Boarmus erst nach einem Moment erkannte, daß die darauf abgebildeten Emotionen Wut waren.
    »Vergessen«, kreischten sie ohrenbetäubend. »Mit welchem Recht haben sie uns vergessen?«
    Ein Stimmengewirr. Wie viele? Er wußte es nicht. Ein Teil von ihm, der keine Angst verspürte, hörte aufmerksam zu. Es waren mindestens vier Stimmen, mit den jeweiligen Echos. Waren es diejenigen, die Zasper vor so langer Zeit erwähnt hatte?
    »Aber ihr wolltet doch in Vergessenheit geraten«, flüsterte Boarmus, der die Worte nur mit Mühe herausbrachte. »Es steht im Logbuch, in den Einträgen der frühen Jahre. Es war

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