Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Monströse Welten 3: Toleranz

Monströse Welten 3: Toleranz

Titel: Monströse Welten 3: Toleranz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
Vom Netzwerk:
gingen in ihre Kabinen und lagen wach in den Kojen. Sie beschäftigten sich mit verschiedenen unangenehmen Varianten der Zukunft, während die Wachen am Ufer von einer unerklärlichen bleiernen Müdigkeit überwältigt wurden. Die Tore des am Fluß gelegenen Turms schwangen auf, und Haifazh kam mit ihrem Kind heraus. Für einen Moment stand sie einsam und verlassen vor dem offenen Tor, und dann rief sie einmal – nur einmal. Wie ein schwacher Trompetenstoß, silberhell und entfernt, der überall, nah und fern, mit derselben Intensität widerhallte, als ob er von vielen Kehlen verstärkt worden wäre. Jeder in Thrasis hörte den Ton, doch nur die Frauen verstanden seine Bedeutung. Sie kamen zum Vorschein, Frauen und Mädchen, manche schnell, manche zögernd. Sie hatten ihre Babies und Töchter dabei. Man hatte ihnen eine Gelegenheit gegeben. Eine zweite würden sie nicht bekommen. Das Böse nahte, und das war ihre einzige Chance. Nicht einmal jene, die zauderten, durften sich diese Chance entgehen lassen.
    Einige, zumeist Alte, die Angst vor Veränderungen hatten, beschlossen zu bleiben, doch niemand wollte, daß ihre Babies und Töchter zurückblieben. Mütter und Töchter stritten sich und wurden gar handgreiflich. Das Haus der Wiedergutmachung öffnete seine Pforten und entließ die Belegschaft in die Freiheit. Es blieben nur wenige zurück, die alten Frauen, welche die anderen mit den Stöcken gezüchtigt hatten. Die abrückenden Frauen holten die Überlebenden aus den Höfen der Entsorgung.
    In den Stadthäusern, wo die Frauen in den sogenannten Kemenaten gehalten wurden, huschten Frauen aus fensterlosen Zellen über verborgene Treppen hinunter in die von hohen Mauern eingefaßten Gärten, kletterten über die Mauern und verschwanden in der Dunkelheit. Niemand sah die Frauen verschwinden. Hier und da befanden verschlossene Türen sich zwischen den Frauen und der Außenwelt, Türen, für die die Frauen keine Schlüssel hatten, doch die Türen öffneten sich gerade so lang, daß die Frauen entwischten, worauf sie sich hinter ihnen wieder verriegelten.
    Hier und da hockten weinende Frauen in den Gärten und warteten, bis das Tor sich wieder schloß, ohne daß sie die Gelegenheit zur Flucht genutzt hätten. Es waren diejenigen, die es nicht wagten zu gehen. Sie würden lieber sterben, als diese Gelegenheit beim Schopf zu packen. Die Lethargie saß einfach zu tief.
    Diejenigen, die ihre Chance nutzten, gingen im Schutz der Dunkelheit zuerst zum Ufer des Fohm und marschierten dann in westlicher Richtung am Ufer entlang zu der großen Mauer, die Thrasis, die westlichste der Provinzen, vom unbekannten Hinterland trennte, das sich dahinter ausdehnte. Die Mauer wuchs aus den Tiefen des Flusses und verlor sich irgendwo im Norden, wohin bislang noch kein Mensch vorgedrungen war. Im Norden waren damals die ersten Siedler eingetroffen. Es bestand keine Möglichkeit, die Mauer zu umgehen, sie zu untertunneln oder zu übersteigen. Doch nun zerfiel die Mauer vor den Augen der wartenden Frauen; Stein um Stein fiel lautlos von der Mauerkrone herab, Stein um Stein wurde lautlos auf dem Boden aufgestapelt und zu einer breiten Treppe zusammengefügt, die für die Frauen begehbar war. Kein Laut ertönte, während sie die Treppe hinaufgingen und erst Dutzende, dann Hunderte und schließlich Tausende von Frauen zielstrebig durch die Dunkelheit gingen, als ob sie einem Pfad folgten, der nur für sie beleuchtet war.
    Als die letzten die Treppe hinaufgingen, kamen noch ein paar weinende Nachzügler angerannt, diejenigen, welche sich erst in letzter Minute entschieden hatten, nachdem ihnen bewußt geworden war, daß sie sonst ganz allein zurückgeblieben wären und alles würden ausbaden müssen.
    Im Westen der Mauer stießen sie auf eine Straße, die trübe in der mondlosen Nacht leuchtete, und die Frauen gingen, so schnell sie konnten, diese Straße entlang. Nachdem alle die Mauer überwunden hatten, fügten die Steine sich wieder zusammen, Stein um Stein, bis die Mauer wieder so dastand, wie sie immer dagestanden hatte, massiv und unüberwindlich. Die Grenze von Thrasis war wieder hermetisch abgeriegelt. Nachdem die letzte Frau die Mauer überwunden hatte, wurde die Straße mit Gras, Kräutern und kleinen Bäumen überwuchert, die wie Pilze aus dem Boden schossen. Eine Straße erstreckte sich vor ihnen, doch es war keine Straße hinter ihnen. Es waren keine Spuren zu sehen. Es gab keinen Weg zurück.
    Die Morgendämmerung zeichnete sich

Weitere Kostenlose Bücher