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Monströse Welten 3: Toleranz

Monströse Welten 3: Toleranz

Titel: Monströse Welten 3: Toleranz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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Mädchen, Jory?«
    »Oh, ich war ein fügsames Mädchen, Zasper Ertigon. Ich hielt mich immer an die Regeln. Ich ordnete mich unter und übte mich in Demut und Bescheidenheit.«
    »Sie doch nicht!«
    »O doch. Ich war ein richtiges Zuckerpüppchen.«
    »Das glaube ich.«
    »Mir fällt es manchmal schwer, das zu glauben. Im Grunde hatte ich große Ähnlichkeit mit den Frauen von Thrasis. Ich versuchte, zufrieden in meiner Kemenate zu leben, obwohl ich innerlich kochte. Zu meiner Zeit und in meinem Land wurden die Frauen nicht verstümmelt, obwohl dieser Brauch in manchen Ländern der Erde gepflegt wurde. Psychische Verstümmelung war jedoch üblich. Ich wurde erzogen, Dinge zu glauben, die kein intelligenter Mensch geglaubt hätte. Schließlich rebellierte ich gegen den Glauben – vielleicht im Vorgriff auf das, was aus mir wurde.«
    »Und was wurde aus Ihnen?«
    »Eine Prophetin, ist das denn zu glauben? Ich und eine Prophetin?«
    »Ich kann es mir vorstellen. Sie haben die entsprechende Ausstrahlung.«
    »Wirklich? Ich halte das für unwahrscheinlich – zumindest im Rückblick.«
    Er schüttelte den Kopf. »Überhaupt nicht. Fringe sagte mir, Sie hätten sie erwählt.«
    »Richtig.«
    »Weil… weil wir vielleicht keine Gelegenheit mehr haben werden, uns zu unterhalten, würden Sie mir davon erzählen?«
    »Was möchtest du denn wissen?« fragte sie und neigte den Kopf auf die Seite, wodurch sie wie ein Vogel wirkte.
    »Ich möchte… ich möchte wissen, weshalb. Weshalb sollte eine Prophetin Fringe erwählen? Und zu welchem Zweck?«
    Sie lachte. Es war ein kurzes, humorloses Lachen. »Wäre es denn ein Trost für dich, wenn du es wüßtest?«
    Er schüttelte den Kopf. »Das wissen nur Sie.«
    Sie schaute ihn zweifelnd an. »Nun, vielleicht würde es dich trösten. Eine Parabel muß aber genügen. Wärst du damit zufrieden?«
    »Wenn ich muß.«
    »Nun denn:
    Es war einmal eine Landfrau, die ein Fabelwesen sah, das die Blumen in ihrem Garten fraß, und sie wurden Freunde. Das Problem war nur, daß die Frau, nachdem sie das Fabelwesen kennengelernt hatte, nicht mehr fähig war, ›prosaischere‹ Freundschaften zu schließen, wenn du weißt, was ich meine.«
    »Andere Beziehungen erschienen ihr danach trivial?« fragte er nach kurzer Überlegung.
    »Weniger das als vielmehr – bedeutungslos. Durch die Beschäftigung mit dem Fabelwesen war sie viel mehr geworden als nur eine Bauersfrau mit einem Garten. Diese Entwicklung hatte jedoch nicht in ihrem Ermessen gestanden, und sie erkannte nicht immer ihre Bedeutung, auch wenn sie tief im Innern wußte, daß es richtig war.«
    Er nickte. »Ich verstehe. Glaube ich zumindest.«
    »Doch das Wichtigste ist, sie wäre nicht geworden, was sie geworden ist, wenn sie dafür von vornherein ungeeignet gewesen wäre.«
    »Aha«, sagte Zasper.
    Jory lächelte. »Nun, wir werden alle einmal alt, und es kam die Zeit, da sie wußte, daß es bald zu Ende gehen würde. Also hielt sie Ausschau nach jemandem, der ihr Vermächtnis erben sollte. Natürlich erwartete sie dabei nicht, daß ihr Nachfolger in ihre Fußstapfen treten würde – ihr Werdegang war einmalig, auch wenn das nicht ihr Verdienst gewesen war. Er sollte vielmehr so sein, wie sie am Anfang gewesen war. Ihr ging es um die Anlage.«
    »Und wie sah die aus?«
    »Das weiß Gott allein.« Sie lachte. »Das habe ich mich auch oft gefragt.«
    »Hartnäckigkeit?« fragte er.
    »Beharrlichkeit«, sagte sie.
    »Streitsucht.« Er lächelte. »Aufsässigkeit.«
    »Unbezähmbarkeit.« Sie erwiderte das Lächeln.
    »Unzufriedenheit«, sagte er.
    »O ja«, sagte sie. »Und nicht zu knapp. Auch eine gewisse Widersetzlichkeit. Die Bereitschaft, etwas Offensichtliches abzulehnen, wenn es offensichtlich falsch ist! Eine Vision. Das Gefühl, eine Pflicht erfüllen zu müssen, auch wenn man nicht weiß, worin diese besteht! Eine Sehnsucht nach dem Himmel, auch wenn man nicht weiß, wie der überhaupt aussieht.«
    »Per Saldo eine unangenehme Person.«
    Sie grinste ihn an. »Das sagte man mir.«
    »Deshalb haben Sie Fringe ausgesucht.« Er schüttelte traurig den Kopf. »Und nun ist sie verschwunden.«
    »Ja«, flüsterte Jory. »Sie war die Beste, und nun ist sie fort. Und die Prophetin ist sich ihrer Prophezeiung nicht mehr sicher, denn sie liegt schon so lange zurück.«
    »Wenn Sie keine Prophetin mehr sind, was sind Sie dann?«
    »Eine berechtigte Frage.« Sie verzog das Gesicht. »Vielleicht bin ich wieder eine bloße Dienerin.

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