Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
…«
»Das ist nicht falsch, was Sie da sagen, Iphigénie, ganz und gar nicht falsch!«
»Ach! Sehen Sie!«
»Und darauf sind Sie ganz allein gekommen?«, fragte Joséphine und nippte an ihrem eindeutig viel zu süßen Kaffee.
»Ja. Und dabei war ich nicht mal auf der École Polytechnique wie der Herr aus dem zweiten Stock!«
Joséphine zuckte zusammen.
»École Polytechnique? Wer war auf der École Polytechnique?«
»Na … Monsieur Boisson. Wenn ich die Post sortiere, achte ich immer darauf, nichts durcheinanderzubringen, also lese ich ganz genau, was auf dem Umschlag steht, und ich habe gesehen, dass er Einladungen zu Ehemaligentreffen oder so etwas bekommt. Auf dem Umschlag steht der Name der Schule und der Ehemaligenvereinigung …«
»Monsieur Boisson war auf der École Polytechnique?«
»Ja, und ich nicht. Aber das hält mich nicht davon ab nachzudenken. Über das Leben und die ganz alltäglichen Dinge … Dazu braucht man sich bloß auf einen Stuhl zu setzen, wenn die Kinder im Bett sind, und sich zu fragen, warum eine Frau wie Sie, eine intelligente, gebildete Frau, glaubt, sie sei nichts wert und jeder könne auf ihr herumtrampeln, wie er gerade lustig ist …«
»Monsieur Boisson? Er war auf der École Polytechnique«, wiederholte Joséphine. »Und seine Frau? Wie heißt seine Frau, Iphigénie?«
»Keine Ahnung. Ich mache die Briefe doch nicht auf! Glauben Sie das ja nicht! Ich lese nur, was draufsteht. Aber das ist doch nicht das Entscheidende, Madame Cortès, sondern das, was ich vorher zu Ihnen gesagt habe. Wenn Sie nicht selbst zu hundert Prozent hinter Ihnen stehen, wer dann? Denken Sie darüber nach …«
»Sie haben recht, Iphigénie. Ich werde darüber nachdenken …«
»Sie sind nämlich ein großartiger Mensch, Madame Cortès. Und Sie sind die Einzige, die das nicht weiß … Also schreiben Sie sich das gefälligst hinter die Ohren und sagen Sie sich jeden Abend vor dem Einschlafen: Ich bin eine großartige Frau, ich bin eine großartige Frau …«
»Glauben Sie, das funktioniert?«
»Versuchen Sie es doch einfach, Sie haben nichts zu verlieren. Und ich finde die Idee gar nicht so dumm. Aber ich war natürlich auch nicht auf der École Polytechnique!«
»Zum Glück nicht, Iphigénie! Sonst wären Sie jetzt nicht hier, um auf mich aufzupassen …«
»So, und von jetzt an will ich Sie nie wieder weinen sehen … Versprochen?«
»Versprochen …«, seufzte Joséphine.
Sie musste unbedingt mit Garibaldi reden.
Zehn Uhr morgens …
Josiane saß in ihrer großen Küche und betrachtete die Fensterscheiben. Sie hatte sie vorgestern geputzt, es hatte geregnet, sie könnte sie heute noch einmal putzen. Bei Franprix hatte sie Fensterreinigungstücher einer neuen Marke entdeckt, die wahre Wunder versprach. Oder sie könnte die Wasserhähne mit Kalkentferner bearbeiten. Die Siebe entkalken. Die Regale abstauben. Den Backofen putzen. Schon vor drei Tagen erledigt! Die Wohnzimmervorhänge abnehmen und in die Reinigung bringen? Ja, schon, aber … sie kamen doch gerade erst aus der Reinigung … Ah!, zuckte sie hoffnungsvoll zusammen, es ist schon eine Woche her, seit ich das Silber poliert habe! Damit wäre ich den ganzen Nachmittag über beschäftigt …
Sie stand auf, griff nach ihrer großen Schürze, band sie sich um die Hüften und öffnete die Schublade mit dem Silberbesteck. Es blitzte und funkelte.
Enttäuscht setzte sie sich wieder hin.
Zum Friseur gehen? Sich massieren lassen? Einen Schaufensterbummel machen? Fernsehen? Sie schüttelte den Kopf. Solche Beschäftigungen heiterten sie nicht auf. Ganz im Gegenteil! Sie verließ den Friseursalon schlecht gelaunt. Ließ die Tüten mit den gekauften Kleidern ungeöffnet liegen. Legte die Pullover und Röcke schließlich mitsamt den Etiketten in den Schrank und rührte sie nicht mehr an.
Vor dem Fernseher schlief sie ein.
Sie hatte es mit Stricken versucht …
Sie brauchte eine Aufgabe. Berge, die es zu besteigen galt, Probleme, die nach einer Lösung verlangten. Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, Chinesisch oder Englisch zu lernen, doch ihr war schnell bewusst geworden, dass das auch nicht reichen würde. Sie sehnte sich nach praktischer Betätigung. Bewegung, ein konkretes Ziel, das sie erreichen musste …
Sie warf einen Blick auf das Kalbsragout mit feinem Gemüse, das in einem großen Kupfertopf auf dem Herd vor sich hin schmorte. Die Ofentür! Ich könnte sie ausbauen und den Zwischenraum zwischen den beiden Glasscheiben
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