Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
Vom Netzwerk:
lebte, die Götter um einen Schüler anflehte. Weil sie nichts anderes hatte, bot sie den Göttern mit offenen Händen Wasser dar. Und als sie die Augen öffnete, saß in ihrer Handfläche der schlangenköpfige Patanjali. Der aber auch eine Inkarnation des Schlangengottes Adisesha ist, welcher Shiva als Bett diente und von diesem auf die Erde geschickt wurde, um den Menschen Lösungen für ihre Probleme zu bringen. Meine liebste Geschichte ist aber die: Patanjali war ein Yogalehrer, der hinter einem Vorhang unterrichtete, weil er in Wahrheit eine tausendköpfige Schlange war, was natürlich niemand sehen durfte. Als ein Schüler den Vorhang anhob, musste er sie alle auffressen, und seine Lehre wäre verloren gewesen – wenn nicht ein Schüler an dem Tag zu spät gekommen wäre. In einer Yogastunde nach Patanjali kann Zuspätkommen kein Verbrechen sein – und ich werde euch auch nicht auffressen. Ich verspreche es.»
    Sie führte die Gruppe durch eine Reihe einfacher Asana und Atemübungen. Sie ließ sie im Schneidersitz sitzen und auf eine brennende Kerze starren. Die Stunde war zu schnell vorbei. «Macht euch bis zum nächsten Mal Gedanken über eure Übungspraxis!»
    «Besprechen wir denn gar nicht, was wir letzte Woche aufgeschrieben haben?» Eine Schülerin hielt ihr Heft hoch. Die anderen schauten sie erwartungsvoll an. Nevada hatte diese Notizen als Selbststudium eingeplant. Doch jetzt konnte sie sehen, dass ihre Schüler enttäuscht waren. Sie wollten ihre Gedanken mit den anderen austauschen. Sie wollten womöglich Nevadas Meinung dazu hören. Doch sie konnte die Stunde nicht verlängern.
    «Einige von uns gehen nach der Stunde immer noch in die Bar hinunter», sagte Marie. «Vielleicht können wir uns dort in einem lockeren Rahmen darüber unterhalten?»
    «Gute Idee», sagte Nevada. Doch sie wollte mit niemandem reden. Sie wollte mit Wolf allein sein. Sie fühlte seinen fragenden Blick und lächelte. Er dachte dasselbe wie sie. «Ich komme etwas später dazu», sagte sie. «Ich habe noch eine Besprechung.»
    Die anderen Schüler verließen das Studio. Wolf wartete auf sie.
    «Geh schon runter, ich komme nach.» Nevada ging die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Die Schmerzen hielten sich in Grenzen. Ihre Beine gehorchten ihr – beinahe. Auf den letzten Stufen hielt sie sich mit einer Hand am Geländer fest, während sie mit der anderen ihren Oberschenkel anhob, bis ihr Fuß die nächste Stufe erreicht hatte. Sie war ihre eigene Krücke.
    Nur der Gedanke an Wolf, der unten auf sie wartete, gab ihr die Kraft, die Treppe zu bewältigen. In ihrem Zimmer ließ sie alles fallen. Der Bilderrahmen klirrte in ihrer Tasche. Sie zog sich um, eine enge Hose, eine ausgeschnittene Bluse. Sandalen mit Plateausohlen. Sie löste ihr Haar und bürstete es kräftig. Dann sah sie ihre Bürste an. Büschelweise hing ihr Haar darin.
    Die ungewohnten Schuhe machten den Abstieg schwieriger, als sie gedacht hätte. Die Plateausohlen waren wie Betonblöcke an ihren Füßen. Auf halbem Weg blieb Nevada stehen. Sie wollte sich hinsetzen, doch sie wusste nicht, ob sie dann wieder aufstehen würde.
    War das ein Schub? War es das, wovor Professor Kaiser sie gewarnt hatte? Jeder Schub führte zu einer Verschlechterung ihres Gesamtzustands, es ging stufenweise abwärts, wie auf dieser Treppe. Es gab kein Entkommen. Sollte sie barfuß gehen? Die Absätze hoben ihren Po, der sich in der engen Hose abzeichnete. Wenn sie erst im Rollstuhl saß, würde ihn niemand mehr zu sehen bekommen. Nein, sie würde die Schuhe nicht ausziehen. Ihr Körper bäumte sich noch einmal auf. Sie hob einen Fuß und dann den andern.
    Wolf saß am Fenster und wartete auf sie. Als sie an den Tisch trat, langsam, vorsichtig, erhob er sich. Nevada fühlte, wie ihre Chakren schmolzen, eins nach dem anderen wie Schokolade an der Sonne.
    «Hier habe ich immer mit Poppy gesessen», seufzte er. Er nahm seine Brille ab und putzte sie umständlich. Sie wollte ihm die Brille aus der Hand nehmen. Sie wollte sie wollte sie wollte.
    «Wie geht es dir?»
    Nevada zuckte zusammen. Sie hatte die anderen nicht wahrgenommen, die in die Bar gekommen waren, sie sah nur Wolf. Marie war an ihren Tisch getreten. Ihr Blick ruhte prüfend auf Nevada. Professionell.
    «Mir geht es gut», antwortete sie knapp. Sie wollte, dass Marie ging. Sie wollte sich Wolf zuwenden, aber der putzte immer noch seine Brille. Er war dünner geworden. Schatten lagen unter seinen Augen – ob er nachts auch wach

Weitere Kostenlose Bücher