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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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mit einer Verzögerung, die es dem Gegenüber erlaubte, schon die nächste Frage zu stellen, bevor sie die letzte beantwortet hatte.
    «Ich mache Ballett», erklärte sie, «und eine Mischung aus Aerobic und …»
    «Welcher Schule gehörst du an, Iyengar, Ashtanga, Hatha, was?»
    «Ich verstehe nicht.»
    «Ich fasse es nicht. Ich muss dich unbedingt Shri Jenny vorstellen. Ich ruf sie gleich an.»
    Nevada schaute auf die Uhr. Es war kurz nach zwei Uhr, in zwanzig Minuten würde sie sich auf den Weg machen, um die Kinder abzuholen.
    «Ach, vergiss die Kinder!» Gwen winkte ab. «Das kann Juanita übernehmen.»
    Der Portier pfiff ein gelbes Taxi herbei. Sie fuhren in einen heruntergekommenen Teil der Stadt, in dem Nevada noch nie gewesen war. Bisher hatte sie sich zwischen der Wohnung und der Schule der Kinder bewegt, quer durch den Park, hin und zurück. Das Taxi hielt vor einer alten Fabrik. Die Backsteinwände waren mit Graffiti besprüht. Das Yogastudio befand sich im zweiten Stock. Dort roch es nach Räucherstäbchen und Schweiß. Shri Jenny war älter als Nevada und jünger als Gwen. Mit ihren stumpfen, schwarzgefärbten Haaren und den dicken Lidstrichen wirkte sie punkig. Auf ihre Stirn hatte sie einen roten Tupfer gemalt, und sie trug gelbe Pluderhosen. Sie legte die Handflächen zusammen und hob sie an die Stirn. Das war das erste Mal, dass Nevada mit «Namaste!» begrüßt wurde.
    Es war Nevadas erste Yogastunde. Sie fühlte sich sofort zu Hause: die gebellten Befehle, Shri Jennys harte Hand, die gegen ihren Rücken presste, ihren Oberkörper auf die Beine hinunterdrückte, bis die Oberschenkel brannten. Mit einem Seufzer der Erleichterung unterwarf sich Nevada einer neuen Kombination von vertrauten Regeln und Befehlen. Es war alles da und alles klar. Übe, und der Rest wird sich ergeben.
    Nevada übte jeden Tag. Sie übte stundenlang. Jeden gezerrten Muskel, jede Träne begrüßte sie freudig wie eine alte Bekannte. Streng dich an. Frag nicht. Leide, und du wirst erlöst. Wie, du fühlst dich nicht erlöst? Dann hast du nicht hart genug gearbeitet. Es war ein System, das sie kannte. Es war das System ihrer Mutter.
    Von diesem Tag an brachte die Putzfrau die Kinder zur Schule und holte sie auch wieder ab, und Nevada absolvierte einen Intensivlehrgang bei Shri Jenny. Nach drei Monaten war sie so weit, dass sie Gwen und ihre reichen Freundinnen, die die heruntergekommene Gegend, in der sich das Studio befand, nur widerwillig aufgesucht hatten, in ihren eigenen Wohnungen unterrichten konnte. Sie verdiente erstaunlich viel Geld damit. Die Frauen bewunderten ihren grazilen, beweglichen Körper, die tänzerische Eleganz, mit der sie die Asanas ausführte, die klare Stimme, mit der sie die Mantren sang, die Selbstverständlichkeit, mit der sie die Sanskritworte aussprach. Sie hatte sie von einer Videoaufnahme des indischen Gurus gelernt. Weil Sanskrit dem Deutschen viel näher ist als dem Englischen, gelang es Nevada besser als allen anderen, die Stimme des Meisters zu imitieren. Und obwohl sie kein Wort von dem verstand, was sie da rezitierte, klang es doch authentisch, und ihre Schülerinnen hielten sie für besonders spirituell. Shri Jenny merkte schnell, dass Nevada ihr die gutbetuchte Klientel entzog, und auch warum. Sie eröffnete eine Filiale im oberen, besseren Teil der Stadt und stellte Nevada als Hauptlehrerin ein. Sie übertrug ihr so viele Stunden, dass ihr für Privatlektionen keine Zeit mehr blieb. Die reichen Damen sollten in ihr Studio kommen, wenn sie Yoga machen wollten.
    Nevada konnte sich bald eine eigene Wohnung leisten, die allerdings näher beim ersten Studio lag. Also übernahm sie auch dort ein paar Stunden. Sie begann, ihr Geld für eine Studienreise nach Indien zu sparen, für ein Training beim Guru in Indien. Bald bestand ihr Leben nur noch aus Schlafen und Yoga.
     
    Vor einem Jahr hatte sie noch vierzig, fünfzig Schüler gehabt, an den Wochenenden bis zu siebzig. Es hatte sich herumgesprochen, dass ihre Stunden besonders fordernd waren, klatschnass verließen die Schüler das Studio, durchgeschwitzt, gereinigt, glücklich. Nevada verbindet körperliche Herausforderung mit spirituellen Grundlagen, hieß es auf der Website des Studios. Nevada dachte manchmal, es sei eine Show, die sie abzog, sie fühlte die Energie ihrer Schüler wie die eines imaginären Publikums. Sie konnte den kleinsten Abfall dieser Energie spüren und auffangen. Dann ließ sie die Gruppe in Vasisthasana , der

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