Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
lauschte auf das Rauschen des Wassers. Es dauerte lange, bis es schließlich verstummte und Emma nach ihm rief: «Papa?»
Er öffnete die Tür einen Spaltbreit. Das kleine Badezimmer war von Dampf erfüllt.
«Trocknest du mich ab?»
Blind tastete er nach einem Tuch. Er ging in die Knie und hielt das offene Tuch vor sich, in das Emma hineinsprang wie in ein Sicherheitsnetz. Er wickelte ihren kleinen Körper ein und rubbelte energisch ihre Schultern, ihren Rücken, ihre Beine ab.
«Du hast keinen Conditioner, Papa!», sagte Emma. «Jetzt musst du mir die Haare kämmen. Du darfst mir aber nicht weh tun!»
Ted sah an sich herunter. Die Essensreste, die an seinen Kleidern klebten, hatten das Badetuch verschmiert. «Zieh schon mal deinen Pyjama an», sagte er. «Ich muss auch kurz unter die Dusche.»
Später saßen sie im Pyjama auf Emmas Bett. Emma lehnte sich an seine Knie. Er versuchte, einen Kamm durch ihre langen krausen Locken zu ziehen. Die Locken hatte sie von ihrer Mutter, die sie bei sich mit religiösem Eifer zähmte und glättete. Als Emma knapp zwei Jahre alt war, hatte Ted sich einmal gewundert, wo sie wohl diese Haare herhatte. Tina war explodiert. Vier Jahre hatten sie zusammen verbracht, und er hatte keine Ahnung gehabt. Von ihrem wahren Haar. Kein Kinderfoto hatte sie ihm gezeigt. Nichts gesagt. Sie versteckte ihre Naturlocken wie ein gefährliches Geheimnis.
«Au!», schrie Emma.
«Morgen kaufe ich Conditioner», versprach Ted.
«Speziell für Locken!»
«Versprochen. Oder», er legte den Kamm weg, «oder du lässt dir Dreadlocks wachsen. Du weißt schon – Rastazöpfe.»
Emma schüttelte den Kopf. «Du spinnst ja, Papa! Mach weiter!»
Über die Schulter reichte sie ihm die Gummibänder, mit denen er ihre Haare, einmal gezähmt, gestreckt und zu Zöpfen geflochten, zusammenbinden sollte.
Später würde es an der Tür klingeln, und sie würden wieder Pizza essen. Diesmal mit viel Käse. Dann würde Emma auf dem Weg ins Bett vor der offenen Küchentür stehen bleiben und besorgt fragen, ob sie nicht noch aufräumen sollten.
«Ach was, das machen die Heinzelmännchen über Nacht!»
«Papa! Heinzelmännchen gibt es nicht!»
«Aber sicher gibt es die! Du wirst es morgen ja sehen! Jetzt aber ab ins Bett.»
Ted las ein halbes Kapitel aus der Kleinen Hexe vor, dann fielen ihm die Augen zu. Als er wieder aufwachte, war es dunkel. Er stand leise auf und schlich sich aus dem Zimmer. Es war kurz nach zehn. Früher ging er um diese Zeit erst aus. Er begann, die Küche aufzuräumen.
So könnte man leben, dachte Ted. Dann klingelte das Telefon. Es war, als hätte sie gespürt, dass er an sie dachte. Seine Mutter.
«Was höre ich da, du hast das Kind bei dir?» Sie seufzte. «Mich wundert nichts mehr. Du hättest wirklich ein Mädchen werden sollen!»
Nevada
«Ich möchte mich noch einmal in aller Form bei Ihnen entschuldigen», sagte Professor Kaiser.
«Nicht nötig.» Nevada rutschte auf dem Stuhl nach vorn. Sie wollte nichts vom Professor hören, nichts über seine Tochter, seine Trauer. Sie hatte sich in die Röhre gelegt und das metallische Ticken ausgehalten. Sie hatte sich nicht bewegt. Das hatte sie lange genug trainiert. Ihre Mutter und ihre Schwester hatten sie wieder begleitet. Hatten im Flur auf sie gewartet, nebeneinander auf harten Metallstühlen gesessen, zwei dünne, braungebrannte Frauen mit kurzen blonden Haaren, rotgeschminkten Lippen. Sie sahen aus wie Schwestern. Wenn Nevada sich schminken, wenn sie ihre Haare kurz schneiden und aufhellen würde, würde sie genauso aussehen. Drahtig, angespannt, auf alles gefasst. Die langen Haare, die Schichten wallender Kleidung: reine Tarnung.
Nevada wusste noch nicht recht, ob sie sich freute, dass Martha und Sierra sich um sie kümmerten. Die konzentrierte Fürsorge, die fast ohne Berührungen oder aufmunternde Worte auskam, die praktisch war und stoisch, war Nevada fremd. Ihre Mutter hatte sich nie um sie gesorgt. Nicht einmal, als der Hausarzt sie darauf hingewiesen hatte, dass ihre Tochter gefährlich untergewichtig war.
«Ja und? Sie ist schließlich Tänzerin!», hatte sie den Arzt angeschnauzt. «Und genau richtig gebaut dafür. Sie würden sich wohl besser um die grassierende Fettleibigkeit bei Jugendlichen kümmern!» Auf dem Heimweg im Auto hatte sie Nevada mit eiskaltem Schweigen gestraft. Erst, als sie das Auto in ihrer Straße abstellte und den Motor ausschaltete, sagte sie, nur mühsam beherrscht: «Vielen Dank,
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