Montana 04 - Vipernbrut
ist gestern Nacht nicht nach Hause gekommen. Bei all dem, was hier momentan so los ist, hab ich wirklich Angst bekommen, deshalb hab ich auch Lucky angerufen. Er hat gesagt, ich soll mich an Sie wenden.« Seufzend nahm Pescoli ein Blatt Papier, das neben ihrem Bildschirm lag.
»Wie war Ihr Name noch gleich?«
»Carl. Anderson. Ich war mal Lastwagenfahrer, daher kenne ich Ihren Mann.«
»Er ist mein Ex-Mann.«
»Oh, ja. Das hat er erwähnt.«
Amen.
»Ihre Freundin heißt Johnna Phillips?«
»Ja, aber, ähm, genau genommen ist sie wohl meine Ex-Freundin. «
»Wie muss ich das verstehen?«
»Wir haben uns vorgestern Abend getrennt.«
Das erklärte einiges. »Und jetzt reagiert sie nicht auf Ihre Anrufe?« Das Ganze klang mehr und mehr nach vergeblicher Mühe. Sie schob ihre Stiefelspitze unter den Mantelkragen, beförderte ihn in die Höhe und fing ihn mit der freien Hand auf.
»Nein. Ja. Ich meine, so ist das nicht. Ich bin zu ihrer Wohnung gefahren, aber sie ist seit gestern Abend nicht mehr dort gewesen, seit sie zu der Weihnachtsfeier ihrer Bank gegangen ist. Sie arbeitet für die First Union in der Altstadt. Ihr Wagen ist auch nicht vorm Haus. Ich habe noch einen Schlüssel und bin reingegangen, um auf sie zu warten, weil ich, nun, Sie wissen schon, weil ich versuchen wollte, die Dinge wieder geradezubiegen, aber sie ist nicht aufgekreuzt.«
»Vielleicht ist sie zu einem … Freund mitgegangen?«, schlug Pescoli vor, die den Typ am anderen Ende der Leitung für doof wie Bohnenstroh hielt. Seine Freundin hatte sich vermutlich schlicht und einfach einen anderen gesucht, hoffentlich einen mit einem höheren IQ und netteren Bekannten als den Typen, mit denen Lucky Pescoli für gewöhnlich rumhing.
Du hast ihn geheiratet. Du hast ihn zum Vater deiner Tochter gemacht. Wer im Glashaus sitzt …
»Ich denke nicht. So durchtrieben ist sie nicht, außerdem ist sie nur zu dieser Party gegangen, weil das von ihr erwartet wurde. Wie hat sie es noch gleich genannt? Eine königliche Vorstellung oder so ähnlich … «
»Eine Sondervorstellung bei Hofe?«
»Ja, genau das!«, erwiderte er verblüfft.
»Haben Sie ihre Freundinnen angerufen?«
»Sicher. Ihre Schwester auch und Stephanie, diese Tussi von der Bank. Keiner hat sie gesehen, und Stephanie sagte, sie hätten sich für heute zu einem Spaziergang im Park verabredet, doch Johnna sei nicht erschienen. Sie dachte, sie hätte vielleicht verschlafen. Hat sie aber nicht.«
»Zumindest nicht zu Hause.«
»Nein. Sie … nein.«
Oh, oh. Jetzt kapierte der Ex.
Pescoli hängte ihren Mantel über die Rückenlehne ihres Schreibtischstuhls. »Wie lautet denn ihre Adresse?«
»Park West Apartments, Nummer 205.« Er gab ihr die Adresse durch, und sie notierte sie. »Wie ich schon sagte, normalerweise hätte ich Sie nicht angerufen, aber jetzt, mit diesen Eismumienmorden, mache ich mir Sorgen. Ich habe immer wieder angerufen und gesimst, aber sie geht einfach nicht dran und schreibt auch nicht zurück. Außerdem habe ich mich bei Facebook eingeloggt, aber dort war sie seit vierundzwanzig Stunden nicht mehr. Dabei ist sie immer online. Ich habe mit ihren Freunden gechattet, doch von denen hat auch keiner etwas gehört. Echt seltsam, das kann ich Ihnen sagen. Da stimmt etwas nicht.«
»Warum kommen Sie nicht vorbei und füllen eine Vermisstenanzeige aus?«, schlug Pescoli vor, die nach wie vor vermutete, dass die Ex-Freundin ihm einfach nicht antwortete, und deshalb zögerte, sich näher mit der Sache zu befassen. Carl Anderson dagegen schien völlig überzeugt zu sein, dass Johnna Phillips verschwunden war, und hatte bereits alles Mögliche getan, um sie aufzuspüren, was Pescoli dann doch zu denken gab. Sie wollte kein Risiko eingehen, nicht solange ein durchgeknallter Mörder die Stadt terrorisierte. »Bitte wenden Sie sich an die Vermisstenabteilung. Dort müssen Sie Meldung erstatten.«
»Prima!«
Das war es nun nicht gerade, aber das würde sie ihm nicht auf die Nase binden.
Alvarez fuhr in einem Dienstwagen des Departments nach Hause und überlegte, ob sie Pescoli nicht in ihren Verdacht, das Zungenpiercing betreffend, hätte einweihen müssen. Doch nur weil sie einen silbernen Ohrstecker vermisste, hieß das noch lange nicht, dass das Piercing in Lara Sue Gilfrys Zunge ihr gehörte. Hätte man nicht den Ohrring in Lissa Parsons’ Brustwarze gefunden, wäre sie niemals auf den Gedanken gekommen, dass der Stecker ihr gehören könnte, zumal er alles andere
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