Montana 04 - Vipernbrut
Nachbarn, eine Verkehrsanzeige …
Nein! Du darfst nicht übermütig werden! Das ist viel zu gefährlich, außerdem hast du Wichtigeres zu tun. Konzentrier dich auf deine Arbeit!
Er zwang sich, diesen verführerischen Gedanken fallenzulassen. Er würde noch früh genug zum Zug kommen bei dieser Polizistin, er musste nur auf die passende Gelegenheit warten. Zum Glück hatte dieser verrückte Junior Green sie nicht umgebracht, denn das hätte seine Pläne zunichtegemacht. Eine erschreckende Vorstellung: Es musste nur irgendein Psychopath mit einer Waffe aufkreuzen, und schon waren selbst sorgfältig ausgetüftelte Pläne nichts mehr wert.
Doch sie hatten den Irren überlistet, sie und dieser Mann, mit dem sie sich neuerdings traf.
O ja, er war ihm schon begegnet, hatte Erkundigungen über ihn eingeholt.
Dylan O’Keefe sollte ihm besser nicht in die Quere kommen, nicht nach all der Arbeit.
Wieder fing der Hund an zu jaulen. Er fluchte. Die blöde Töle hatte er zuerst nur in den Garten hinausgelassen, um Alvarez ein wenig zu verwirren, doch dann war plötzlich dieses Bürschchen aufgekreuzt und war ins Haus gelaufen, so dass er durchs Schlafzimmerfenster hatte fliehen müssen, den Jungen dicht auf den Fersen. Er war dann am Zaun entlanggeschlichen, bis das Grundstück zu einem zugefrorenen Bach hin steil abfiel. Dort befand sich ein Gartentor, das hatte er bei einem früheren Besuch ausspioniert. Er hatte über den Zaun gegriffen und den Riegel zurückgeschoben. Der Köter, irgendein struppiger Schäferhundmix, war freudig auf ihn zugesprungen, und er hatte ihn am Halsband gepackt und mit sich gezerrt. Zum Glück hatte der Schnee ihre Fußspuren bald wieder zugedeckt.
Es war ein einziges Desaster gewesen, dennoch er hatte es geschafft, unbemerkt zu entkommen. Und jetzt hatte er den Hund am Hals, der ihn mit unschuldigen Augen anblickte und mit dem Schwanz wedelte.
Er war noch sehr jung und scheinbar absolut hirnlos … aber er würde seinen Zweck erfüllen.
Ohne sich weiter um den Hund zu kümmern, machte er sich wieder an die Arbeit. Summend versuchte er, den inneren Frieden zu finden, den ihm das Eisschnitzen für gewöhnlich brachte. Schwitzend zwang er seine Hände, ruhig zu bleiben für sein neues Meisterwerk, das die beiden anderen noch übertraf, dann setzte er vorsichtig den Meißel an, direkt oberhalb der Nase.
Der Hund winselte.
»Schsch!«, knurrte er. Vorsichtig entfernte er überschüssiges Eis. Die Skulptur würde perfekt werden! Nur noch einmal ansetzen, dann …
Wuff!
Der Köter gab ein verängstigtes Kläffen von sich. Er erschrak und traf ein wenig zu fest mit dem Hammer auf.
Knack! Das Eis fing an zu splittern. Zuerst zog sich nur eine einzelne feine Linie über das Gesicht des Objekts, dann bildeten sich Dutzende, die sich bis über den Nacken ausbreiteten.
»Nein! Nein!« Entsetzt betrachtete er sein ruiniertes Werk.
Die Arbeit von Tagen, Wochen, Monaten binnen einer Sekunde zerstört.
Seine Finger schlossen sich um den Meißel. Zornerfüllt funkelte er den Hund an. »Halt die Schnauze, du dämliches Mistvieh!«, tobte er. Am liebsten hätte er den Köter erwürgt. Der war ja noch schlimmer als seine bibelfanatische Frau! »Halt einfach die Klappe!«
Jetzt würde er noch einmal von vorn anfangen müssen. Das Eis schmelzen, frisches Wasser über die tote Frau gießen, wieder und wieder, bis er endlich mit dem Schnitzen beginnen konnte.
Und das alles nur wegen der verdammten Töle.
Er schloss die Augen, zählte langsam bis zehn und gemahnte sich, dass er es schaffen würde. Der Hund war lediglich eine weitere Prüfung.
»Stille Nacht, heilige Nacht« erschallte es wieder, und er blickte auf die Frau unter dem Spinnennetz aus Eis hinab, schaute ihr tief in die toten Augen und fing leise an zu singen: »Schlaf in himmlischer Ruh, schlaf in himmlischer Ruh … «
Kapitel sechsundzwanzig
In jener Nacht liebten sie sich.
Verzweifelt, als würde es kein Morgen geben. Alvarez war bereits zu Hause gewesen, im Pyjama, als sie ein Klopfen an der Tür hörte. O’Keefe hatte auf ihrer Schwelle gestanden. Er sah so erschöpft aus, wie sie sich fühlte. Bei seinem Anblick, obwohl sein Gesicht nach wie vor unschöne Spuren des Kampfes mit Junior Green aufwies, wurden ihre Knie weich, und als er seine Arme öffnete, flog sie förmlich hinein, suchte Trost für ihr gebrochenes Herz.
Sie war sich der Existenz ihres Sohnes jede Sekunde seit seiner Geburt bewusst gewesen, doch sie hatte dieses
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