Montana 04 - Vipernbrut
Michelle war jünger und hübscher und machte sich zurecht wie eine Barbiepuppe, aber sie war längst nicht so dumm, wie sie sich stellte, und Pescoli wollte ihren untreuen Ehemann ganz gewiss nicht zurückhaben. Niemals. Luke war kein guter Mann. Zumindest nicht für sie. Gutaussehend? Ja. Narzisstisch? Aber sicher doch. Michelle und er schienen prima miteinander klarzukommen.
Gut.
Um die Wahrheit zu sagen, war es eher Michelles Stiefmuttergehabe, das Pescoli nervte. Michelle, die kaum zehn Jahre älter war als Bianca, mit ihren künstlichen Fingernägeln, der Haarverlängerung, den Plateau-High-Heels und ihren bescheuerten Fernsehserien. Barbie-Michelle liebte Reality-Soaps wie Keeping Up with the Kardashians und Jersey Shore - alles Dinge, die Pescoli hasste wie die Pest. Kein Wunder, dass ihr Michelles Einfluss auf Bianca nicht gefiel.
»Michelle stellt sich einen dieser Retro-Aluminiumbäume mit bunten Lichtern vor. Die können sich sogar drehen!«
Wie immer schien Bianca beeindruckt von der ungeheuren lnspirationskraft dieser Frau.
»Wenn sie schon auf retro macht, könnte sie doch genauso gut in den Wald gehen und sich einen Weihnachtsbaum schlagen, du weißt schon, eine echte Tanne mit echten Nadeln, die nach echtem Harz duftet und vielleicht nicht perfekt gewachsen ist?«
Bianca verdrehte die Augen. »Darauf steht sie aber nicht, Mom. Weißt du, wie sie dieses Jahr das Haus dekorieren will? Das wird echt cool!«
Natürlich. »Und dein Vater hat nichts dagegen? Gegen den Retrobaum, meine ich?«
»Ihm ist das egal«, erklärte Bianca achselzuckend. »Solange ihm das Ding nicht die Sicht auf seinen neuen Fernseher versperrt … «
»Schon wieder ein neuer Fernseher?« O Gott, warum hatte sie das Thema nur auf Luke gebracht?
»Ja, ein superdünner. 3-D.«
»Cool!«, bemerkte Jeremy. Pescoli spürte, wie ihre Haut anfing zu kribbeln. Sie musste nicht extra daran erinnert werden, dass es in ihrem Haus noch nicht einmal einen Flachbildfernseher gab. Der Besitz eines solchen Gerätes hatte für sie keine besonders hohe Priorität, zudem verdiente sie nicht genug Geld, um es für Elektronik rauswerfen zu können. Sie musste dringend das Thema wechseln. »Bist du fertig mit den Karten?«, fragte sie Bianca.
»Fast.«
»Dann bist du dran, Jer.«
»Warum? Das ist so … «
»Lahm, ich weiß. Aber auch das ist Tradition, und deine Tanten freuen sich, wenn sie etwas von dir hören.« Jetzt trug sie ein bisschen dick auf, war es doch eine ganze Weile her, dass sie selbst mit einer von ihren drei Schwestern gesprochen hatte. »Immer hin schicken sie dir jedes Jahr Geschenke!«
»Toll«, brummte er, zog an der Lichterkette, um die Schnur zu entzerren, und riss dabei die Steckdose aus der Wand. Die Lämpchen erloschen. »Schei … «
»Es ist Weihnachten!«, fiel sie ihm ins Wort.
»Noch nicht!«, bellte er zornig.
Pescoli würde sich nicht von seiner schlechten Laune anstecken lassen. »Trotzdem: Bei uns wird nicht geflucht.«
»Wie bitte? Mom, du bist eine solche Heuchlerin. >Bei uns< wird die ganze Zeit über geflucht.«
Nun ja, dachte Pescoli, da hatte er nicht ganz unrecht, aber die beiden lieferten ihr auch immer wieder allen Grund dazu. Was war nur aus ihren lieben Kleinen geworden? Ihr Blick fiel auf Bianca, die mit ihrer Brave-Tochter-Nummer nicht mehr durchkam, seit sie zehn oder elf war und Pescoli sie beim Rauchen erwischt hatte. »Die gehören Carrie!«, hatte Bianca behauptet, als ihre Mutter die Marlboro Lights konfisziert und anschließend die halb volle Schachtel dramatisch im Klo hinuntergespült hatte, obwohl sie sie am liebsten im Handschuhfach versteckt hätte, wo sie ihre eigenen Zigaretten »für schlechte Tage« aufbewahrte.
Soweit sie wusste, hatte ihre drastische Vorführung Wirkung gezeigt - Bianca war seitdem Nichtraucherin. Bei Jeremy war sie weniger erfolgreich gewesen: Er rauchte nicht nur, sondern machte sich nicht mal mehr die Mühe, es zu verbergen. »Ich bin achtzehn, ich darf rauchen!«, hatte er oft genug verkündet, doch sie wusste, dass er auch Marihuana probierte. »Gras ist kein Problem. Daran ist absolut nichts auszusetzen«, beharrte Jeremy. Ihre Argumente, dass Marihuana illegal war, stießen bei ihm auf taube Ohren.
»Na schön, dann bekenne ich mich eben schuldig«, räumte Pescoli jetzt ein, »aber ich werde mir Mühe geben, nicht mehr zu fluchen. Vielleicht sollten wir alle ein bisschen unsere Zungen hüten?«, schlug sie vor.
Niemand gab eine Antwort,
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