Montana 04 - Vipernbrut
diese für sie vorgesehen hatte.
Warum, verstand sie nicht.
Doch wer hätte das auch verstehen können?
Er hielt sich für eine Art Künstler, und er hatte mehrfach erwähnt, wie schön sie sei, wie »perfekt«. Ihr drehte sich der Magen um, als sie daran dachte, wie er ihren Bauchnabel geleckt und ihre Brust mit der Zungenspitze liebkost hatte. Am liebsten hätte er mehr mit ihr angestellt, das hatte sie in seinen Augen sehen können, widerliche, grausame, sadistische Dinge.
Obwohl sie schreckliche Angst gehabt hatte, hatte sie sich nicht gerührt, hatte sich nicht rühren können, denn ihre Muskeln ließen sich nicht bewegen, kein Laut drang über ihre Lippen, wenngleich sie innerlich schrie. Wieso hatte sie nicht geahnt, wie abgrundtief böse dieser Mann war, den sie so oft in Grizzly Falls gesehen hatte? Dieser verheiratete Mann, der nach außen hin so normal wirkte und stets freundlich lächelte, wenn sie im Wild Will an seinen Tisch getreten war? Hinter dieser Fassade verbarg sich ein gefährlicher Irrer, ein Dämon, von Satan höchstpersönlich gesandt. Einmal hatte sie einen Blick auf seine dunkle Seite werfen können, als er dachte, sie hätte ihn übersehen. An dem Tag war im Restaurant die Hölle los gewesen, und noch dazu hatte die Chefin seine Bestellung durcheinandergebracht, aber ansonsten …
Sie zwang sich, nicht an ihn zu denken, auch nicht daran, wie hilflos sie ihm ausgeliefert war, auf Gedeih und Verderb. In der Dunkelheit fingen ihre Gedanken an zu wandern, und für eine Sekunde meinte Brenda, eine weitere Stimme zu vernehmen, eine Stimme, die so verängstigt klang wie ihre eigene. Sie krächzte eine Erwiderung, doch natürlich hörte sie nichts als das Pochen ihres eigenen Herzens. Sie musste sich getäuscht haben; es war niemand in der Nähe, der sie hören oder gar befreien würde.
Sie war verloren.
Nur Jesus könnte sie jetzt noch retten, da war sich Brenda sicher.
Ihr Glaube gewann die Oberhand über ihre Furcht, und sie begann zu beten. Stumm. Die vertrauten Worte fielen ihr ein: Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name …
Obwohl Wochenende war, herrschte im Department große Betriebsamkeit. Zu den üblichen Unfällen, tätlichen Auseinandersetzungen und Eigentumsdelikten, die der Freitagabend so mit sich brachte, kamen jetzt noch die beiden Morde hinzu, so dass es in den Büros und an den Schreibtischen noch hektischer zuging als sonst. Telefone klingelten, Gespräche wurden geführt, viele Officers, darunter auch Alvarez, schoben Überstunden.
Während draußen die Medien kampierten, saßen der Sheriff und sein Stellvertreter in ihren Büros, Sturgis hatte es sich auf seinem Stammplatz neben Graysons Schreibtisch bequem gemacht. Bei seinem Anblick musste Alvarez an ihren eigenen Hund denken, der immer noch verschwunden war, genau wie ihr Sohn.
Bislang war sie zu beschäftigt gewesen, allzu viel an Gabriel oder Roscoe zu denken, doch jetzt …
Sie zwang sich, sich wieder ihrem Fall zuzuwenden. Ihr Rücken fing leicht an zu schmerzen von den vielen Stunden, die sie am Schreibtisch zugebracht hatte. Noch einmal nahm sie sich Lissa Parsons’ Anrufprotokoll vor. Ein Computer hatte es mit dem von Lara Sue Gilfry verglichen, um herauszufinden, ob sich übereinstimmende Nummern fanden, doch es gab nur drei Treffer: die Poliklinik, in der Dr. Acacia Lambert arbeitete; das J oltz, ein gut besuchter Coffeeshop, und eine Autowerkstatt an der Seventh Street. Das war eine Sackgasse. Als Nächstes wollte sie sich die PCs vornehmen, doch das erwies sich als schwierig, da noch immer Lissa Parsons’ Auto, Laptop und Smartphone fehlten. Seit ihrem Verschwinden waren laut Anbieter keinerlei Aktivitäten auf Handy und Computer zu verzeichnen. Lara Sue Gilfry hatte als Angestellte des Bull and Bear Bed & Breakfast den dortigen Gemeinschaftscomputer benutzt. Oft hatte sie sich nicht mal die Mühe gemacht, sich persönlich einzuloggen, weshalb es so gut wie unmöglich war herauszufinden, welche Websites sie besucht hatte und welche ihre Kollegen und mitunter auch die Gäste.
Zum Glück würde das FBI, das mittlerweile eingeschaltet war, seine hochkomplizierte Technik mitbringen. Alvarez war die Chronik vom sechsten November durchgegangen, dem Tag, an dem Lara Sue zuletzt gesehen worden war, doch ihr war nichts Besonderes auf gefallen.
»Bleib dran«, ermahnte sie sich. »Du darfst jetzt nicht lockerlassen.«
Ihr Handy klingelte, O’Keefes Name erschien auf ihrem Display. Sie spürte,
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