Montgomery & Stapleton 05 - Das Labor des Teufels
spielerische Wiederholung der Professorenrolle.
»Was ist, wenn ich dir sage, dass nicht nur die Röntgenbilder nichts gebracht haben, sondern auch das Frenulum intakt ist?«
»Das macht mit Sicherheit nicht das ungeschehen, was ich hier sehe«, erwiderte Laurie. Trotz ihrer Abneigung beugte sie sich nach unten und betrachtete die Hautverletzungen, besonders dort, wo Jack an einer der Abschürfungen einen Schnitt vorgenommen hatte. Es war kein Blut oder Ödem zu sehen. Und plötzlich war ihr klar, worauf Jack hinauswollte – dass hier kein Missbrauch vorlag. »Ungeziefer!«, erkannte sie plötzlich und richtete sich auf.
»Gebt dieser Dame einen Preis!«, rief Jack im Ton eines Marktschreiers. »Wie erwartet, hat Dr. Montgomery meinen Eindruck fachmännisch bestätigt. Natürlich ist Vinnie nicht überzeugt, deswegen haben wir um fünf Dollar gewettet, dass ich hier den nicht spezifischen Beweis eines Erstickungstodes finde, wenn wir bei der Obduktion zum Inneren der Leiche vordringen. Und jeder weiß, was das bedeuten würde.«
Laurie nickte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war das Kind am plötzlichen Kindstod gestorben, der sich bei einer Obduktion als Erstickung zeigt. Obwohl sie auf den ersten Blick gedacht hatte, die Hautverletzungen seien dem Kind vor dem Tod zugefügt worden, vermutete sie jetzt, dass sie von einer Reihe von Ungeziefer wie Ameisen, Kakerlaken und vielleicht auch Mäusen und Ratten stammten, die sich erst nach Eintreten des Todes an ihm zu schaffen gemacht hatten. Sollte dies wirklich der Fall sein, war der Tod nicht durch Mord, sondern durch einen Unfall eingetreten. Natürlich minderte das nicht die Tragik, dass ein junges Leben verloren war, aber es ergaben sich andere Schlussfolgerungen.
»Na, ich lege mal lieber noch einen Zahn zu«, meinte Jack, als er die Kamera vom Stativ schraubte. »Das Kind wurde durch die Umstände der Armut verstümmelt, nicht durch Missbrauch. Ich muss dafür sorgen, dass die Eltern aus dem Gefängnis entlassen werden. Sie noch länger sitzen zu lassen, hieße, sie nicht nur ungerecht zu behandeln, sondern sie obendrein auch noch zu beleidigen.«
Laurie ging zu einem der Seziertische, wo Marvin gerade die Rolltrage zurechtrückte und sich zwang, Lauries Enttäuschung über Jacks Schlagfertigkeit und seinen offensichtlichen Gemütszustand nicht anzusprechen. Sie fragte sich währenddessen, ob Jacks Fall vielleicht ein weiterer Wink des Schicksals war, dass die Dinge nicht immer das waren, was sie auf den ersten Blick zu sein schienen.
»Gab’s Probleme?«, wollte Laurie von Marvin wissen, als er mit dem anderen Sektionsgehilfen die Leiche auf den Seziertisch hob und ihren Kopf auf einem Holzblock ausrichtete.
»Ein ganz winziges«, gab er zu. »Mike Passano scheint die falsche Fachnummer aufgeschrieben zu haben. Aber mit Miguels Hilfe haben wir die Leiche ganz schnell gefunden. Gibt’s bestimmte Anforderungen für diese hier?«
»Die Sache müsste schnell über die Bühne gehen«, vermutete Laurie, als sie die Zugangsnummer und den Namen überprüfte. »Eigentlich hoffe ich, dass dieser Fall hier praktisch identisch sein wird mit unserem ersten von gestern.« Marvin blickte sie verblüfft an, als sie mit der äußeren Untersuchung begann.
Rasch erfasste Lauries geübtes Auge, was sie vor sich sah – die Leiche einer weißen Frau Mitte dreißig mit brünettem, normal verteiltem Haar, ohne äußere Anzeichen einer Krankheit, aber mit leichtem Übergewicht, was sich am überschüssigen Fettgewebe an Bauch und den Seiten der Oberschenkel zeigte. Ihre Haut wies die übliche Leichenblässe und ein paar Muttermale auf, aber keine Verletzungen. Keine Anzeichen von Blausucht, kein Hinweis darauf, dass sie Drogen genommen hätte. Seitlich am linken Knie gab es zwei frisch genähte Einschnitte ohne Hinweise auf eine Entzündung oder Infektion. In ihrem linken Arm steckte noch die Infusionskanüle, wo aber weder Blut noch eine andere Flüssigkeit ausgetreten war. Aus ihrem Mund ragte der korrekt in die Luftröhre eingeführte Trachealtubus.
So weit, so gut, sagte sich Laurie und meinte die äußere Untersuchung, die bis jetzt mit der von Sean McGillan übereinstimmte. Sie griff zum Skalpell, das ihr Marvin reichte, und begann mit der inneren Untersuchung, bei der sie schnell und zielstrebig vorging. Was sonst noch im Seziersaal passierte, verschwamm im Hintergrund.
Eine Dreiviertelstunde später richtete sich Laurie auf, nachdem sie die Venen von den Beinen bis
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