Montgomery & Stapleton 07 - Die Seuche Gottes
sprechen kommen, nämlich etwas über Laurie Montgomery zu erfahren – machte sie sich Chets Offenheit zunutze und fragte ihn, wieso er sich für ein Medizinstudium und dann für die Gerichtsmedizin entschieden hatte.
»Wollen Sie die zensierte Fassung hören oder die Wahrheit?«, meinte Chet und lächelte neckisch.
»Die Wahrheit!«, erwiderte Angela mit übertriebenem Nachdruck. Dann nahm sie noch einen Schluck von dem himmlischen Wein.
»Die meisten Medizinstudenten, so ungefähr achtundneunzig Prozent, entscheiden sich für diesen Beruf, weil sie das aufrichtige Bedürfnis haben, anderen Menschen zu helfen. Ich nicht. Ich hatte bis kurz vor dem Ende der Schulzeit noch keine Ahnung, was ich eigentlich werden wollte.«
»Und dann?«
»Einer meiner Schulkameraden, in meinen Augen ein ziemlicher Streber – ich meine, er war Präsident des Schach-Clubs –, hat sich plötzlich entschlossen, Arzt zu werden, und zwar aus demselben Grund wie die meisten. Und wissen Sie, was dann passiert ist?«
»Ich platze vor Neugier.«
»Von einem Tag auf den anderen war er wahnsinnig beliebt bei den Mädchen. Ich konnte es kaum glauben. Fast so was wie eine Metamorphose. Sogar das Mädchen, hinter dem ich her war, Stacey Cockburn, wollte plötzlich mit Herbie Dick ausgehen. Sie hießen wirklich so, ehrlich, ohne Witz.«
Angela unterdrückte ein Lachen.
»Also wollte ich auch sofort Arzt werden«, fuhr Chet fort. »Und es hat funktioniert. Zwei Wochen später habe ich Stacey zum Tanz ausgeführt.«
»War das Motivation genug für ein ganzes Studium?«
»Für mich schon. Biologie hat mir schon immer gefallen, sodass Medizin nicht völlig aus dem Rahmen gefallen ist. Und eine gewisse Zielorientierung gibt einem in diesem Alter ja durchaus ein bisschen Sicherheit. Außerdem waren meine Eltern und Schwestern total begeistert von der Vorstellung, dass ich Arzt werde. Schließlich ist der Herr Doktor in einer Kleinstadt im Mittelwesten immer noch eine Respektsperson.«
»Aha«, meinte Angela. »Aber wieso dann Gerichtsmedizin?«
»Vielleicht, weil ich gerne Rätsel löse und neue Sachen lerne. Genau darum geht es meiner Ansicht nach bei der Gerichtsmedizin. Außerdem habe ich schon während der Ausbildung gemerkt, dass ich mit Patienten nicht so gut umgehen kann, besonders dann nicht, wenn sie noch leben.«
Angela nickte lächelnd. Bis zu einem gewissen Grad konnte sie das verstehen, zumindest theoretisch. Was ihr jedoch nach wie vor unbegreiflich war, das war, wie man eine Obduktion tatsächlich durchführen konnte.
»Also gut, Sie sind dran«, sagte Chet nun. »Warum haben Sie sich für eine Karriere in der Wirtschaft entschieden?«
Angela zögerte einen Augenblick und überlegte, was sie antworten sollte. Ihr erster Impuls bestand darin, die Frage mit einer oberflächlichen Antwort abzutun, doch dann sorgten Chets Aufrichtigkeit, ihre eigenen, erst kürzlich aufgeflammten Zweifel an ihrer Motivation und vielleicht sogar ein wenig der Wein dafür, dass sie ehrlich war. »Ich schätze, ich muss Ihnen die gleiche Frage stellen wie Sie mir vorhin«, sagte sie. »Wollen Sie die stereotype Version hören oder die ehrliche?«
»Natürlich die ehrliche.«
»Ich wollte, ehrlich gesagt, nie Geschäftsfrau werden, zumindest nicht bis vor fünf Jahren.«
»Was wollten Sie denn dann werden?«
»Ärztin.«
»Im Ernst?«, erwiderte Chet, während sich auf seinem Gesicht ein unsicheres Lächeln abzeichnete.
»Im Ernst«, gab Angela zurück. »Und zwar als Teil der großen Herde. Ich habe zu den achtundneunzig Prozent gehört, von denen Sie gesprochen haben. Ich wollte mich wirklich von ganzem Herzen um die Menschen kümmern und sie von ihren Leiden erlösen. Vielleicht hört es sich total kitschig an, aber ich wollte die Medizin in die Innenstadt tragen, wie eine Art neuzeitlicher Dr. Livingstone.«
»Und wieso haben Sie das nicht gemacht?«
»Habe ich ja«, erwiderte Angela. »Das ganze Programm. Ich habe eine Facharztausbildung gemacht, bin Internistin geworden, habe meine Approbation bekommen und eine Praxis in Harlem eröffnet.«
Chet ließ sich gegen die Stuhllehne sinken und legte seine Gabel beiseite. Im Augenblick fehlten ihm die Worte. Schon als er Angela im Fitnessclub angesprochen hatte, hatte er gespürt, dass irgendetwas Besonderes von ihr ausging, aber er hätte niemals gedacht, dass sie Ärztin war. Diese Neuigkeit schockierte ihn und erschütterte sein Selbstbewusstsein – als Doktor der Medizin und
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