Montgomery & Stapleton 07 - Die Seuche Gottes
ihren Lebensstil in Frage gestellt sah und sich wieder einmal fragte, wie es geschehen konnte, dass sie ihre ursprünglichen Ziele so sehr aus dem Auge verloren hatte. In einem Augenblick der Klarheit erkannte sie, dass das staatliche Abrechnungssystem im Gesundheitswesen, das ihre Hausarztpraxis in den Ruin getrieben hatte, zusammen mit der demoralisierenden Erfahrung ihrer Scheidung von Michael ihr Wertesystem unterminiert haben musste. Sie war abgestumpft. Der geschäftliche Erfolg, der sich im Reichtum und seinen Insignien ausdrückte, hatte jeden altruistischen oder sozialen Gedanken ebenso verdrängt wie die Freuden einer innigen Beziehung, wenn man von der zu ihrer Tochter einmal absah.
Angela wandte sich wieder ihrem Schreibtisch und den Schwierigkeiten von Angels Healthcare zu. Sie schob die Blumen ein Stück weiter weg und rückte ihren Terminplan für den Nachmittag wieder in den Mittelpunkt ihres Arbeitsbereichs. Kurze Zeit später brachte Loren ihr ein Sandwich und eine Cola herein. Während des Essens dachte Angela an die neuen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Paul Yangs Verschwinden und dem Laptop mit dem Formular Acht-K. Das war, als wäre ihr eine Handgranate abhanden gekommen, bei der der Zündstift bereits zur Hälfte gezogen war.
Mit diesem Bild im Kopf griff Angela nach ihrem BlackBerry. Sie wollte Michael eine E-Mail schicken und ihn fragen, was er über Pauls Verschwinden wusste. Während ihre Daumen über die winzige Tastatur huschten, empfand sie eine große Freude darüber, dass sie mit Hilfe dieses kleinen Geräts mit Michael kommunizieren konnte, ohne direkt mit ihm sprechen zu müssen. So bekam sie die benötigten Informationen ohne den Ärger, den sie sonst noch zusätzlich hätte ertragen müssen.
Doch als sie ihre Nachricht gerade abschicken wollte, kam sie noch einmal ins Schwanken. Sie war sich über Michaels Herkunft und seine Kindheit sehr wohl im Klaren und hatte in Bezug auf etliche seiner Freunde und ihren Lebensstil immer wieder ein ungutes Gefühl gehabt. Das galt auch für einige seiner sogenannten Klienten. Trotzdem hatte sie ihn nie danach gefragt, weil sie damals lieber nichts davon wissen wollte. Doch jetzt, kurz vor dem Absenden, überkam sie ein ähnlich ungutes Gefühl, und sie fragte sich, ob sie die Antwort auf ihre Frage überhaupt erfahren wollte. Mit einem unbestimmten Gefühl des Zweifels speicherte sie ihre Nachricht als Entwurf und legte den BlackBerry beiseite. Sie würde sich später darum kümmern.
Kapitel 6
3. April 2007, 13.05 Uhr
Michael Calabrese brachte seinen schwarzen Geländewagen von Mercedes neben einer Reihe parkender Autos zum Stehen und setzte rückwärts in eine Parklücke. Er hatte schlechte Laune, die aus einer Mischung aus Angst und Nervosität resultierte. Von seinem Parkplatz aus konnte er den Eingang des Neapolitan Restaurant in der Corona Avenue in Corona, Queens, erkennen. Corona grenzte direkt an Rego Park, einen Stadtteil mit überwiegend italienischer Einwohnerschaft. Dort war er aufgewachsen. Viele dachten ja, dass alle Italiener New Yorks in Little Italy, Manhattan, lebten, aber das war falsch. Sie waren alle nach außerhalb gezogen, viele nach Long Island, so wie Michaels Großvater Ziggy, der den familieneigenen Maurer- und Fliesenlegerbetrieb in Rego Park gegründet hatte.
Michael beäugte den Eingang des Restaurants und versuchte sich eine Strategie für die bevorstehende Begegnung zurechtzulegen. Der Ruhm des Restaurants reichte bis in die Dreißigerjahre des vorigen Jahrhunderts zurück. Damals war es allabendlich der bevorzugte Treffpunkt der Lucia-Bande gewesen. Es hatte im Lauf der Jahre seinen zweifelhaften Ruf beibehalten und etliche Höhen und sehr viel mehr Tiefen erlebt, bis Bürgermeister Rudolph Giuliani den zahlreichen Mafiabossen aus der mittleren Ebene den Spaß am nächtlichen Herumtreiben in Manhattan verdorben hatte. Danach hatte das Restaurant einen bemerkenswerten Aufschwung erlebt. Dieser Aufschwung hatte sich weiter fortgesetzt, als Vinnie Dominick nach seinem Aufstieg zum lokalen Lucia-Capo den Laden zu seinem Schlupfwinkel auserkoren hatte.
Die konkurrierende Vaccarro-Familie hatte sich, der Zeit entsprechend, in einem wesentlich neueren Etablissement zwei Querstraßen weiter eingenistet, dem Vesuvio. Die beiden Organisationen waren sich einig, dass es angesichts der Asiaten, Russen und Latinos, die sich einen Teil des Geschäfts unter den Nagel reißen wollten, sinnvoll war,
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