Montgomery & Stapleton 07 - Die Seuche Gottes
hindurchgeschlüpft sein sollten, dann wurde die Luft im OP alle sechs Minuten ausgetauscht. Hinzu kam noch, dass die Patienten in Vollnarkose sowieso keine Umgebungsluft einatmeten. Das bedeutet also, sagte sich Laurie, dass das Ganze unmöglich ist. Diese Infektionen waren weder als natürliches noch als vorsätzlich herbeigeführtes Phänomen erklärbar.
»Wir sind am Ziel, Madam«, sagte der Taxifahrer durch die Trennscheibe aus Plexiglas.
Laurie bezahlte, immer noch benommen von diesem Staphylokokken-Rätsel, stieg aus und ging die Treppe zur Gerichtsmedizin hinauf. Dort stellte sie zu ihrer Überraschung fest, dass Marlene immer noch an ihrem Platz saß.
»Haben Sie nicht um drei Uhr Feierabend?«, fragte Laurie.
»Meine Ablösung hat angerufen, dass sie sich ein paar Minuten verspätet«, sagte Marlene mit ihrem weichen Südstaatenakzent.
Laurie nickte und ging auf die Tür zu, die in die Anmeldung führte.
»Entschuldigen Sie, Frau Dr. Montgomery, ich soll Ihnen ausrichten, dass Dr. Bingham Sie sprechen möchte. In seinem Büro. So schnell wie möglich.«
Laurie spürte ihr Gesicht knallrot werden. Sie wusste instinktiv, dass Angela Dawson bereits angerufen und sich über ihren Besuch beschwert haben musste. Laude besaß schon lange eine tiefe Abneigung gegen Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten, und so blickte sie der bevorstehenden Standpauke – falls es denn eine werden sollte – nicht gerade freudestrahlend entgegen. Nicht, dass sie sich schuldig gefühlt hätte, aber sie hatte Angst, dass sie sich nicht mehr beherrschen konnte und womöglich in Tränen ausbrach. Diese reflexartigen Gefühlswallungen hatten bereits vor der Pubertät eingesetzt und waren nie wieder vollständig verschwunden. Damals hatte sie einen fürchterlichen Streit mit ihrem herrschsüchtigen Vater gehabt, als der sie zu Unrecht für den Drogentod ihres älteren Bruders verantwortlich gemacht hatte. Seit dieser Zeit hatte sie das Gefühl, als hätte sie sich bei Konfrontationen überhaupt nicht unter Kontrolle. Während sie sich Mrs Sanford, Binghams Sekretärin, näherte, merkte sie, wie die beteiligten Synapsen bereits anfingen, Funken zu sprühen, um sie ins Verderben zu stürzen.
»Sie sollen gleich reingehen«, sagte Mrs Sanford.
Laurie suchte in der Miene der Sekretärin nach irgendeiner Andeutung für das, was sie da drin erwartete, aber Mrs Sanford schien jeden direkten Blickkontakt absichtlich zu vermeiden.
»Machen Sie die Tür zu, Frau Dr. Montgomery«, bellte Bingham hinter seinem mächtigen und voll gepackten Schreibtisch hervor. Laurie gehorchte. Diese förmliche Anrede ließ das Schlimmste vermuten.
»Setzen Sie sich!«, sagte er jetzt mit ähnlichem Nachdruck.
Laurie setzte sich. Sie wusste, dass sie rot geworden war, hatte aber keine Ahnung, ob man es auch sehen konnte. Sie hoffte nicht. Was ihr bei ihren unkontrollierbaren Tränenausbrüchen am meisten zu schaffen machte, war die Befürchtung, dass die Leute sie als Schwäche interpretieren könnten. Laurie wusste, dass sie kein schwacher Mensch war. Es hatte zwar eine Weile gedauert, bis sie sich dessen sicher gewesen war, aber jetzt wurmte es sie gewaltig, dass sie bestimmte Verhaltensweisen, die etwas anderes vermuten ließen, einfach nicht in den Griff bekam.
»Ich bin enttäuscht von Ihnen, Laurie«, sagte Bingham jetzt und schlug einen etwas sanfteren Ton an.
»Das tut mir leid«, sagte Laurie. Trotz des leichten Zitterns in ihrer Stimme fühlte sie sich bestärkt. Immerhin war es ihr gelungen, irgendwelche peinlichen Tränen zurückzuhalten.
»Sie waren in letzter Zeit doch immer so zuverlässig. Was ist denn passiert?«
»Ich weiß nicht, ob ich Ihre Frage richtig verstanden habe.«
»Gerade eben hat mich Frau Dr. Angela Dawson angerufen. Sie war außer sich vor Wut darüber, dass Sie unangemeldet in einer ihrer Privatkliniken aufgetaucht sind und sich Zutritt zu nichtöffentlichen Bereichen verschaffen wollten. Sie hat sogar damit gedroht, das Bürgermeisteramt anzurufen.«
Nun, da sie ihre Tränen vorerst im Griff hatte, konnte Laurie eine der Situation angemessenere Empörung zulassen. So, wie sie es sah, hätte Bingham eigentlich ihren Einfallsreichtum loben und sie unterstützen müssen, anstatt sich auf die Seite einer Unternehmerin zu schlagen, die sich ganz offensichtlich mehr Gedanken um ihre Firma als um ihre Patienten machte.
»Nun?«, fragte Bingham ungeduldig.
Laurie war klar, dass sie ihren Zorn genauso unter Kontrolle
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